«Ich will das nicht mehr»

Seit 17 Jahren sucht Ingrid Liebs nach dem Mörder ihrer Tochter Frauke. Nun hat sie keine Kraft mehr – und zieht endgültig einen Schlussstrich.

Es ist ein Verbrechen, das die Öffentlichkeit schockierte: Am 4. Oktober 2006 fand ein Jäger die stark verweste Leiche von Frauke Liebs († 21) in einem Waldstück bei Paderborn (D). Für ihre Mutter Ingrid (70) erlosch damit der letzte Funke Hoffnung, dass ihre Tochter lebend gefunden wird. Bis heute weiss sie nicht, wer für Fraukes Tod verantwortlich ist. Der Fall zählt zu den bekanntesten «Cold Cases» in der deutschen Kriminalgeschichte.

Was war geschehen? Frauke Liebs hatte mit Freunden im Sommer 2006 in einer Kneipe in der Innenstadt von Paderborn ein Spiel der Fussball-WM im TV geschaut. Gegen 23 Uhr machte sie sich allein auf den Heimweg zu ihrer Wohnung, die rund 1,2 Kilometer entfernt im Südwesten der Innenstadt lag. Dort kam die junge Frau nie an. Ihre Mutter erstattete am nächsten Tag eine Vermisstenanzeige – ohne Erfolg. 

Bizarr: In der ersten Woche nach ihrem Verschwinden rief Frauke mehrmals ihren WG-Mitbewohner an und sprach mit Familienmitgliedern per Handy. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Täter dabei in Fraukes Nähe war. Der damals zuständige Staatsanwalt Ralf Vetter äusserte sich nach Abschluss der Ermittlungen: «Am Fundort der stark skelettierten Leiche konnten keine beweiserheblichen Spuren, die auf einen Tatverdächtigen hinwiesen, gefunden werden.» Bis heute fehlen persönliche Gegenstände des Opfers: ein Nokia-Handy, eine Fossil-Armbanduhr und eine schwarze Handtasche. «Und der Zeuge, der das Opfer und den Täter zusammen gesehen hat.»

Einen Umstand, den Ingrid Liebs nicht akzeptieren will: «Von der Logik her muss es Leute geben, die etwas mitbekommen haben. Denn meine Tochter war ja mindestens eine Woche lang gefangen gehalten.» Mit einer vor drei Jahren eingerichteten Internetseite erhoffte sie sich neue Zeugenhinweise. Darauf hatte sie mehrere Fotos von Frauke platziert, darüber die Überschrift: «Wer ermordete Frauke Liebs im Juni 2006?». 

Doch: Sie habe keinen Mitwisser zum Sprechen bringen können, so Ingrid Liebs. Jede E-Mail, die eingehe, mache im ersten Moment Hoffnung. «Aber dann kommt beim Lesen oft der Ärger auf, wenn es wieder keine tragfähigen E-Mails sind, weil sie keine nachprüfbaren personenbezogenen Inhalte haben.» Sie sei in den vergangenen Jahren sogar beschimpft und beleidigt worden, wenn sie Zweifel an der Richtigkeit der Hinweise äusserte. «Ich will das nicht mehr.»

Deswegen fasste sie einen traurigen Entschluss: Die Seite von Frauke wird in wenigen Wochen eingestellt – 17 Jahre nach dem Fund ihrer Leiche. «Der Jahrestag ist ein guter Zeitpunkt, um loszulassen. Aus meiner Sicht ist von mir alles getan, um den zu finden, der für Fraukes Tod verantwortlich ist», erklärt Ingrid Liebs.

Hoffnung gebe ihr vor allem ihre Familie, die ihr zeigt, dass es trotz allen Schmerzes auch Gründe gibt, zu lachen. «Das Leben geht weiter», sagt Ingrid Liebs. Mit dem Staatsanwalt möchte sie aber in Kontakt bleiben. Der nämlich habe versichert, weiterzusuchen – denn Mord verjährt nicht.