Endlich hat sie ihre Sonya wieder

Wie berührend: 80 Jahre nach der Adoption konnten sich Mutter und Tochter in die Arme schliessen.

Mein Baby!», stammelte Gerda Cole. Immer wieder: «Mein Baby!» Mit zitternden Fingern tastete sie zärtlich das Gesicht ihrer Tochter ab: «Wie schön du bist!»

Tief gerührt umstanden die Gäste auf Gerdas Geburtstagsfeier die beiden Frauen. Kein Wunder: Gerda Cole ist 98 Jahre alt, Sonya Grist 80. Die Mutter sah ihre Tochter zum ersten Mal wieder – nach acht Jahrzehnten. Bis zu diesem Augenblick hatte die Seniorin nur wenig über ihr Kind gewusst. «Mein Leben lang fragte ich mich, ob mein Mädchen wohl noch lebt und wo», sagte sie.

Gerda Cole war 1924 als Tochter jüdischer Eltern in Österreich geboren worden. Ihren Vater brachten die Nazis in einem KZ um, ihre Mutter überlebte. 1939 sandte sie Gerda während der Aktion «Kinderlandverschickung» nach England. «In dem fremden Land litt ich furchtbar unter Einsamkeit.» Sie band sich früh, wurde schwanger. «Doch bald war ich allein. In meiner Armut sah ich keine Chance, meinem Kind ein gutes Leben zu bieten.» Deshalb gab die junge Mutter ihre Tochter Sonya 1942 zur Adoption frei.

Jahre später dann der Zufall: Sonyas Sohn Stephen (55) betrieb Ahnenforschung. Er fand heraus: Oma Gerda lebte und wohnte in Kanada. Sie fanden sie in einem Altenheim in Toronto. «Ich habe jeden Tag meines Lebens darunter gelitten, dich weggegeben zu haben», sagte die Dame am Telefon ihrer Tochter. «Aber ich war 18 und dachte, es sei das Beste für dich.» Vor Gerdas 98. Geburtstag kaufte Stephen Flugtickets für seine Mutter und sich.

Beim Wiedersehen flossen viele Tränen. «Ich habe viele Fehler gemacht, und trotzdem habt ihr nach mir gesucht», meinte Gerda. «Endlich habe ich dich wieder! Lasst uns ganz oft zusammenkommen. Bald werde ich 100 Jahre alt sein, ich habe nicht mehr viel Zeit zu verlieren.»