Schicksale
«Dank meinem Pferd vergesse ich den Schmerz»
Michelle Zimmermann leidet an einer schlimmen Krankheit. Doch das «Schmetterlingskind» hat gelernt, damit umzugehen. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben, wie man trotz chronischer Schmerzen das Leben meistern kann.
Ihre Augen strahlen. Ihr Lächeln und ihr fröhliches Wesen zeugen von einer gesunden jungen Frau – wären da nicht die einbandagierten Arme und geröteten Hautstellen am Hals. Michelle Zimmermann (38) leidet an der unheilbaren Erbkrankheit Epidermolysis bullosa dystrophica: Der Haut fehlt wegen eines Gendefekts das Kollagen. Ein leichtes Anstossen genügt, an einer Tischkante etwa, dass sich die Haut ablöst und sich Blasen bilden; ähnlich wie bei einer Verbrennung. An Händen und Füssen entstehen Verwachsungen. Das Schlimmste sind die ständigen Schmerzen: Tag und Nacht, von Geburt an. In der Schweiz leiden 14 Menschen an dieser extremsten Form der Krankheit. Weil ihre Haut so verletzlich ist wie die Flügel eines Schmetterlings, nennt man sie auch Schmetterlingskinder. Bilder von Schmetterlingen schmücken auch Michelle Zimmermanns helle und schön eingerichtete Wohnung im bernischen Seedorf.
Wie bewältigt man diese Situation? «Ich leide nicht an dieser Krankheit», berichtigt die ehemalige Miss Handicap, «ich habe gelernt, mit ihr zu leben.» Doch allein ginge das nicht. Täglich müssen in einem mehrstündigen Prozedere die Verbände gewechselt, die Haut gereinigt und eingecremt werden. «Bei allem Unglück habe ich das Glück, dass meine Mutter Edith mir seit meiner Geburt hilft, auch ihre Schwester Therese und mein Onkel Daniel sowie die Spitex.» Um mit Schmerzen umgehen zu können, brauche es ein gutes Umfeld. «Meine Mutter ist Physiotherapeutin, wohnt in der Nähe und ist etwa sieben Stunden pro Tag bei mir.» Mit dem Schicksal zu hadern, ist die junge Frau überzeugt, kostet viel Energie und führt in eine Abwärtsspirale. Man müsse das Beste aus der Situation machen.
Das hat sie getan und als Schmerzexpertin aus eigener Erfahrung ein Buch verfasst. Darin beschreibt Michelle Zimmermann Strategien zur Schmerzbewältigung. Wie sie gelernt hat, mit ihrem Leiden umzugehen und ein einigermassen normales Leben zu führen. «Damit will ich allen Mut machen, die mit Schmerzen leben sowie deren Angehörigen und Therapeuten.» Doch sie könne nur Denkanstösse geben. Es sei auch eine Übungssache. «Man sollte sich Ziele setzen, Träume und Visionen haben, für die es sich lohnt, auch Schmerzen in Kauf zu nehmen.» Sie nimmt übrigens fast nie Schmerzmittel. Die kleine Schwester der Schmerzen sei die Geduld. «Ich bin meinem Wesen nach eher ungeduldig. Es gibt Momente, in denen ich an meine Grenzen stosse.» Dank ihrer Beharrlichkeit erfüllte sich ein lang gehegter Wunsch: Reiten. «Ich habe meine Mutter so lange bestürmt, bis ich mit elf Jahren endlich Reitstunden hatte. Das erste Mal war ich überall wund.»
Doch sie hat es durchgezogen. «Im gepolsterten Mass-Sattel bin ich glücklich und vergesse die Schmerzen.» Die kommen erst später wieder. «Ich spüre die Kraft des Pferdes, die sich auf mich überträgt.» Ihr Pferd musste lernen, sie möglichst sanft zu tragen, damit ihre Haut nicht Schaden nimmt. Daraus entwickelte Michelle Zimmermann das Hilfs-projekt «Silken Reins», «Reiten am seidenen Zügel». Mit dem Verein will sie zusammen mit ihrem Team auch anderen Menschen mit Behinderung das sachte Reiten ermöglichen. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Diesen Spruch hat sie verinnerlicht. Man müsse trotz des Leidens über sich selber lachen können. «Humor hat mir oft geholfen, alles zu ertragen.» Der Besucher drückt Michelle Zimmermann zum Abschied die Hand – aber ganz sanft. Damit sich der Schmetterling ja nicht verletzt.