«Wald-Erdbeeren kosteten mich beinahe das Leben»

Die Neuenburgerin liess sich Gallensteine entfernen. Beim Routine-Eingriff wurde zufällig eine schwere Leberkrankheit entdeckt – das Organ war von Parasiten befallen. Ursache waren Früchte.

Echinokokkose? Die meisten haben dieses Wort wohl noch nie gehört. Doch Tomi Tomek (64) aus Neuenburg will über die Krankheit, die hinter dem Ausdruck steht, reden. Denn sie könnte jeden von uns treffen. So mancher hat bei einem Waldspaziergang schon einmal Erd- oder Brombeeren gepflückt oder Pilze gesammelt. Doch über die Komplikationen, die nach dem Genuss auftreten können, wissen viele nicht Bescheid: Echinokokkose ist die Infektion mit einem Bandwurm, die Erreger lauern auf Waldfrüchten. Dorthin gelangen sie über den Kot von infizierten Füchsen.

Bei Tomi Tomek begann alles im vergangenen Februar. «Ich fühlte mich seit Jahren immer wieder sehr abgespannt und müde», sagte sie zur Zeitschrift «L’Illustré». Sie habe angenommen, dass es sich um Alterserscheinungen handle. Der Hausarzt konnte auch nichts Spezielles herausfinden. Eine Routineoperation – die Entfernung von Gallensteinen – brachte dann aber noch eine ganz andere Diagnose ans Licht. «Der Chirurg sagte mir, dass er einen Schatten auf der Leber entdeckt habe.» Deshalb hatte der Arzt vorsichtshalber ein Stückchen von der Leber herausgeschnitten, um es untersuchen zu lassen.

Zwei Wochen später erhielt Tomi Tomek einen beunruhigenden Anruf. Sie musste ins Spital, die Schatten hatten sich als Larven des Echinokokkose-Erregers entpuppt. «Zwei Nester wurden entdeckt.» Die Neuenburgerin blieb dennoch ganz ruhig. «Ich sagte mir, dass ich ein Entwurmungsmittel erhalten werde und danach Antibiotika. Ich glaubte, damit wäre die Sache dann erledigt.» Unruhig wurde sie jedoch, als sie den Arzt fragte, ob sie wieder ganz gesund werde. Es gab eine Stille, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam. Dann sagte der Doktor: «Das kann ich Ihnen nicht beantworten.»

Tomi Tomek recherchierte im Internet. Sie fand einen Bericht über eine Tierarzt-Assistentin, die kurz nach der Ansteckung mit der Krankheit gestorben war. Eingehendere Untersuchungen bei Tomi Tomek ergaben, dass die Larven sich vermehrt und nicht nur zwei, sondern bereits neun Nester gebildet hatten. Glück im Unglück: Die Erreger waren «nur» in der Leber feststellbar, sie hatten noch keine Ableger im Körper gebildet. «Ich war entsetzt beim Gedanken, dass Parasiten in meinem Körper lebten.»

Weitere Abklärungen ergaben, dass sie sich schon vor zehn Jahren angesteckt und nichts bemerkt hatte. «Ich wusste zwar, dass diese Krankheit existiert. Dennoch suchte ich Pilze im Wald, ass ungewaschene Walderdbeeren und andere Früchte sowie Bärlauch.» Nie hätte sie dabei an eine Infektion gedacht.

Tomi Tomek musste sich einer Art Chemotherapie unterziehen, um die Erreger loszuwerden. Zehn Wochen dauerte es, um die Larven zu vernichten. Erst dann konnten mit einer Operation die befallenen Stellen entfernt werden. Wegen der Behandlungen war sie danach nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Haare fielen ihr aus, ihr war schwindlig, und sie verspürte eine bleierne Müdigkeit. Doch sie war glücklich, als sie erfuhr, dass der Eingriff erfolgreich gewesen war. Es wird aber noch Monate dauern, bis sie sich einigermassen erholt hat. «Ich hatte grosse Angst vor dem Tod, ich war noch nicht bereit dazu», erzählte sie «L’Illustré».

Sie kann verstehen, dass Freunde und Bekannte überreagierten, sich ekelten und Abstand nahmen, als sie von ihrer Krankheit erzählte. «Ich musste ihnen immer wieder versichern, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch unmöglich war.» Eines ist für Tomi Tomek klar: Niemals wird sie beim Waldspaziergang wieder Erdbeeren, Bärlauch oder Pilze anrühren.

Schwere Erkrankung

Echinokokkose ist beim Menschen eine nicht sehr verbreitete, aber schwere Erkrankung, die tödlich enden kann. Der Hauptwirt des Erregers ist in vielen Fällen der Fuchs. Aber auch Hunde und Katzen können infiziert werden. Es ist möglich, dass Menschen sich direkt bei einem Träger anstecken, zum Beispiel über den Speichel von Hund oder Katze. Das ist aber sehr selten. Schon das gründliche Waschen von Obst und Gemüse kann eine Ansteckung verhindern.