Vorwürfe ein Leben lang

Den Mord an ­ihrer Tochter konnte Petra nicht verhindern. Sie lernte, mit dem nie endenden Schmerz zurechtzu­kommen.

In Gedanken versunken sieht sich die Deutsche Petra Eder (56) Fotos an. Sie zeigen sie und ihre Tochter Lisa (†11) bei
ihren ersten und letzten gemeinsamen Ferien an der türkischen Riviera.

Es war ein herrlicher Urlaubstag im Oktober 2004. Mutter und Tochter – der Vater war einige Zeit vorher gestorben – waren am Strand, als die Kleine ihre Mama fragte, ob sie sich eine Luftmatratze kaufen dürfe. Die Mama gab ihr das Geld, und das Mädchen machte sich auf den Weg zu einem nahegelegenen Shop. Die Mutter schaute ihr nach – es sollte das letzte Mal sein, dass sie ihre Tochter lebend sah. Der Verkäufer bot Lisa an, die Luftmatratze aufzublasen. «Es dauert ein paar Minuten, sieh dir doch draussen die ausgestellte Ware an. Vielleicht findest du noch etwas Schönes für dich.»

Das Mädchen ging hinaus, betrachtete die bunten Armbänder und Silberkettchen und betrat den Laden nicht mehr. Sie wurde in ein Auto gezerrt. Die Mutter machte sich grosse Sorgen, als Lisa nicht zurückkam. Sie alarmierte die Polizei. 500 Beamte und Soldaten durchsuchten die Gegend. Einen Tag später meldete ein Taxifahrer den Fund einer Mädchenleiche im Wald, die nur noch ihr Oberteil trug. Die Obduktion ergab, dass Lisa nach brutalen Schlägen gegen den Oberkörper an Lungenblutungen erstickte. Ihre Arme waren durch den Todeskampf mit Hämatomen übersät.

Der Täter Bülent Gülbay wurde schnell gefasst, war für die Polizei kein Unbekannter – er hatte zuvor schon Mädchen belästigt. Er wurde für den Mord an Lisa zu 30 Jahren Haft verurteilt, erhängte sich kurze Zeit danach in der Zelle. Lisas Mutter empfindet darüber keine Genugtuung. «Ich hätte ihm als gerechte Strafe lieber die vollen 30 Jahre in der Haft gewünscht.» Der Schmerz über den Tod der Tochter wird sie nie loslassen. «Ich hatte mein Kind nicht geschützt», sagt sie. Sie habe nicht geglaubt, mit dem Schicksalsschlag jemals fertigzuwerden, doch sie lernte, mit dem nie endenden Schmerz zurechtzukommen. Sie trifft sich mit Eltern, deren Kind auch einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel. Das hilft. Was der Mutter bleibt, sind Bilder: «Es sind Fotos von Lisas wenigen Ferienstunden, an denen ich mich erfreue.»