Vom eigenen Bruder missbraucht

Louise war noch ein kleines Mädchen, als Richard sie das erste Mal anfasste – im Wohnwagen im Garten der Familie.

Der süssliche Duft von Patschuli-Öl und Räucherstäbchen hat sich bei der Britin Louise Palmer (38) eingebrannt. So roch es im Wohnwagen ihres Bruders, wenn er sie zu sich holte. Im Hintergrund lief leise Jazz-Musik, während er sie immer und immer wieder missbrauchte.

Ihr Martyrium begann, als sie fünf Jahre alt war. Sie lebte mit ihren Eltern und ihren Geschwistern, darunter auch ihr 14-jähriger Bruder Richard, im britischen Birmingham. «Die Stimmung daheim war immer angespannt», erinnert sich Louise. «Ich erinnere mich nur an wenige glückliche Momente.» Auch Richard fühlte sich in der Familie unwohl und zog in einen kleinen Wohnwagen im Garten.

«Er sagte, er wolle auf mich aufpassen und holte mich zu sich», erzählt Louise weiter. Doch er tat etwas ganz anderes. Immer wieder fasste er Louise an, drang in den viel zu kleinen Körper ein. Er bläute ihr ein, niemandem etwas davon zu erzählen. Sonst müsse sie ins Heim und er ins Gefängnis.

Sechs Jahre lang missbrauchte Richard seine Schwester von nun an regelmässig im Wohnwagen. Selbst als er wegzog, eine Familie gründete und in Schottland an einer Schule arbeitete, kam er immer wieder zurück und hörte erst auf, als Louise ihre Periode bekam. «Er sagte, wir würden das nun nicht mehr machen, weil ich schwanger werden könnte.»

Lange versuchte sie, das Geschehene zu verdrängen. Sie bekam selbst zwei Kinder und heiratete. Doch die Ehe zerbrach. «Ich fing an zu trinken, hatte Affären – ich habe einfach nie gelernt, Respekt vor mir selber zu haben», erzählt Louise. Jahrzehnte nach dem Missbrauch vertraute sie sich ihren Eltern an. Doch anstatt von ihnen Unterstützung zu bekommen, hielt das Ehepaar zu ihrem Bruder – selbst als er den Missbrauch gestand.

«Meine Eltern stellten meinen Bruder über mich. Das werde ich ihnen nie verzeihen können», sagt Louise. In ihr wuchs die Wut, bis sie selbstständig genug war und zur Polizei ging. Tatsächlich wurde Richard vom Gericht schuldig gesprochen und bekam eine Haftstrafe von zehn Jahren. Louise hat ein Studium in Kriminologie begonnen und will sich für andere Opfer sexuellen Missbrauchs einsetzen, die das gleiche Martyrium wie sie erlebt haben.