Teuflisches Krebs-Gen geerbt

Ihre Körper sind gezeichnet, ihr Kampf gegen den unsichtbaren Gegner ist fast aussichtslos. Trotzdem: Die Schwestern geben nicht auf.

Das Warten ist die grösste Folter. Das innere Zittern. Die lähmende Angst auf dem Flur vor dem Arztzimmer, wenn die Ergebnisse der letzten Untersuchung anstehen. «Das ist jedes Mal das Schlimmste. Ich komme mir vor wie eine tickende Zeitbombe», erzählte Influencerin Siria Campanozzi (21) in «Bild am Sonntag». «Denn ich weiss, dass es mir irgendwann auch passieren wird. Irgendwann wird ein Tumor entdeckt, irgendwo in meinem Körper. Das Risiko, dass ich bis zu meinem 60. Lebensjahr an Krebs erkranke, liegt bei 100 Prozent.»

Siria lebt gemeinsam mit ihrer Schwester Giada (16) und Mutter Franca (44) in der Nähe von Pforzheim (D). Die beiden jungen Frauen leiden am seltenen Li-Fraumeni-Syndrom. Ausgelöst durch einen Gendefekt, der das Krebs­risiko vor allem in jungen Jahren drastisch erhöht. Siria Campanozzi nennt es ganz unverblümt das teuflische «Krebs-Gen». Aber es ist auch nichts Blumiges dran, wenn der Krebs den Vater getötet und die kleine Schwester das Bein gekostet hat!

Der Albtraum begann 2019 – gleich an Neujahr, in der Not­aufnahme. Bei Giada war ein bösartiger Tumor im linken Oberschenkel festgestellt worden, ein sogenanntes Osteosarkom. 15,5 Zentimeter lang, aus dem Knochen gewachsen. «Ich hatte schon länger Schmerzen im Bein, habe mich aber nie getraut, es zu sagen. Aus Angst, dass es etwas Schlimmes sein könnte.» Es war sehr schlimm. «Irgendwann kam ich keine Treppe mehr hoch, mein Bein war ganz heiss. Da habe ich es meiner Mutter gestanden», sagte Giada in «Bild am Sonntag».

Von dem Tag an ging alles ganz schnell: An der Uniklinik Heidelberg wurde ihr das komplette linke Bein samt Teilen von Becken  und Hüfte abgenommen. Der Tumor war aggressiv, hatte bereits Metastasen in die Lunge gestreut.  Giada: «Ich hatte Glück im Unglück, das war gerade noch rechtzeitig.» 19 Chemo-Blöcke später war Giada 2019 vorerst krebsfrei.

Was den Ärzten auffiel: Der Tumor ähnelte dem Krebs ihres Vaters Luigi, der 2012 ge­storben war. Mit nur 38 Jahren. Zufall? Nein! Ein Gentest zeigte: Sowohl Giada als auch Siria leiden am Li-Fraumeni-Syndrom. Unentdeckt vererbt vom Vater. Der hatte es von seiner Mutter, die bis heute bereits Brust- und Bauchspeicheldrüsenkrebs besiegt hat − und es wiederum von ihrer Mutter geerbt hatte. «Auch ich weiss, dass es mich irgendwann trifft, wie und wo auch immer», sagt Siria. «Aber bis dahin, egal wie lange mein Leben geht, will ich jeden Moment geniessen, jede Reise machen und nicht ständig unter dieser Angstwolke leben.»

Bei ihr ist, bis auf einige gut­artige Knoten in der Brust und im Bein, bislang alles ruhig geblieben. Per Magnetresonanztomo­graphie (MRT) wird sie einmal im Jahr komplett durchgescannt. Dazu kommen engmaschige Checks von Haut und Blut. Wenn sie redet, vergisst man schnell: Siria ist erst 21 Jahre alt. Und sie sagt bereits Sachen wie: «Bei meiner letzten Untersuchung hat mir meine Ärztin ganz vorsichtig versucht beizubringen, dass es mein Krebsrisiko enorm senken würde, wenn ich mir die Brüste entfernen lasse. Ich habe nur gefragt, wo ich unterschreiben müsse.»

Vor einigen Wochen war der OP-Termin. Alles ging gut, die Brüste wurden mit Silikon neu aufgebaut. Siria: «Ich und mein Freund werden uns wohl auch beim Thema Kinder nicht so viel Zeit lassen können wie andere Paare. Denn auch in meinen Eierstöcken kann viel schneller Krebs entstehen als bei anderen Frauen.» Dieses Risiko möchte sie bald per Eingriff ebenfalls minimieren. Und plötzlich wird ihre Stimme noch fester, als sie es ohnehin schon ist: «Ich möchte meinen Kindern dieses Gen auf keinen Fall weitervererben.» Damit das nicht passiert, könnte es bei ihrem Kinderwunsch auf eine künstliche Befruchtung hinauslaufen. Der Embryo würde vor dem ­Einsetzen auf das Li-Fraumeni-­Syndrom getestet.

«Aber eine Sorge nach der anderen», sagt Siria gefasst. «Denn heute ist ein guter Tag ohne schlechte Nachrichten, und alle sind gesund.»