Schreckliche Familientradition

Als Sechsjährige soll sie ins Geschäft ihrer Sippe einsteigen: Prostitution. Doch Eliska entkommt dem erbärmlichen Leben in der Slowakei.

Sie ist zur falschen Zeit am falschen Ort zur Welt gekommen – und das Schicksal des kleinen Mädchens aus einer Familie von Fahrenden in der Slowakei damit besiegelt. «Solange ich mich erinnern kann, wurden ich und meine Familie als Ungeziefer betrachtet, ich wurde auf der Strasse angespuckt», erinnert sich Eliska Tanzer.

Ihre Mutter und Tanten sind alle Prostituierte. Mit den Einnahmen wird das Essen bezahlt, die Kinder erhalten bloss Reste. «Wenn wir auf Reise waren, wurde das Wasser gebraucht, damit sich die Frauen waschen konnten. Wir Kinder wurden selten mit einem Lappen abgeschrubbt.»

Eliskas Grossmutter, die Auschwitz überlebt hatte, kann es kaum erwarten, ihre Enkelin und deren Cousinen – kaum sechs Jahre alt – in den «Dienst» als Prostituierte zu schicken. Zum Glück besteht eine der Tanten darauf zu warten, bis die Mädchen ihre erste Periode haben. Auch Eliskas Vater versucht zu verhindern, dass seine Tochter fremden Männern zur Verfügung stehen muss. Doch ist er kein grosser Schutz: «Meine Tanten stiessen mir Bananen in den Rachen, um mich auf meinen ‹Job› vorzubereiten.»

Inzwischen 13-jährig soll Eliska nach England, um dort Englisch, lesen und schreiben zu lernen, um der Mutter später ein Haus zu kaufen. «Mein Vater wollte auch, dass ich eine Ausbildung erhielt. Also wurde alles arrangiert.» Spätnachts kommt ein Mann mit einem Lastwagen. «Ich, ein anderes Mädchen und ein Junge wurden in eine Waschmaschine in dem fensterlosen Truck gequetscht.»

In England angekommen, werden die Kinder beim Haus einer britischen Lady abgeladen, Geld getauscht. Doch im vereinigten Königreich verbessert sich Eliskas Leben kaum. «Die Frau versteckte uns. Sie hatte Angst, man würde sie erwischen. Immerhin durften wir manchmal fernsehen.» Zu Essen gibt es nur wenige Bissen. Immerhin: Die Kinder werden in Englisch, Lesen und Schreiben unterrichtet.

Dann kommt der Tag, der Eliskas Leben für immer verändert: Die Dame des Hauses hat Freunde zu Besuch. Es läuft Musik, und weil Eliza so gern tanzt, bewegt sie sich zu den Takten. «Eine der Besucherinnen sah mein Talent und nahm mich mit, um mir Tanzunterricht zu geben.»

Als Eliska weit genug ist, nimmt ihre Tanzlehrerin sie mit an Partys, wo sie als Vortänzerin arbeitet, oder an Anlässe, bei denen sie Teil des Unterhaltungsprogramms ist. Alles läuft gut für die junge Slowakin. Bis sie nach einem solchen Engagement nach Hause geht und von drei Männern vergewaltigt, verprügelt und gefilmt wird.

Die Polizei kümmert sich nicht um den Fall, es wird nie jemand zur Verantwortung gezogen. Eliska stürzt in eine tiefe Depression. Als ihr Vater hört, was passiert ist, besucht er sie. «Er brachte mich in ein Hotel. Und zum ersten Mal seit so vielen Jahren streichelte und tröstete er mich.» Sie sprechen über Eliskas Zukunft, dass sie mit dem Tanzen weitermachen und zur Uni gehen soll. «Er half mir, wieder auf die Füsse zu kommen.»

Eliska macht ihren Abschluss in professionellem und kreativem Schreiben. Sie tanzt immer noch, putzt und näht Kleider für ihren Lebensunterhalt. «Ich liebe es, zu putzen, ich bin glücklich, wenn ich arbeite. Aber mein Traum ist, Autorin zu werden.»

Mit ihrer in Englisch erschienenen Biographie («The Girl From Nowhere», Verlag Mirror Books) hat sie den ersten Schritt zur Erfüllung des Traums getan. «Jetzt kommt meine Zeit. Ich habe anderen bewiesen, dass ich es kann. Aber noch viel wichtiger ist: Ich habe mir selbst bewiesen, wie stark ich bin.»