«Ohne meine Frau hätte ich es wohl nicht geschafft»

Bei einem schrecklichen Arbeitsunfall vor fast 14 Jahren verlor Wisi Zgraggen aus Erstfeld im Kanton Uri beide Arme. Doch trotz des Schicksalsschlags gab der tapfere Bauer nicht auf. Mit Hilfe seiner Familie und eisernem Willen bewirtschaftet er weiterhin seinen Hof.

«Grüezi, ich bi dr Wisi!» Mit einem Lächeln heisst der Bauer den Besucher  auf dem stattlichen Bielenhof bei Erstfeld UR willkommen. Der Gast will ihm die rechte Hand reichen, um ihn zu begrüssen – und hält inne. Wisi Zgraggen (39) hat keine Arme mehr. Er streckt die Prothese seines linken Arms entgegen: «Viele sind bei der Begrüssung verunsichert.»

Seit 1871 bewirtschaften die Zgraggens den Hof, Wisi in der fünften Generation. Tatkräftig unterstützt von seiner Frau Angelika (41) und seinen Eltern Alois und Silvia. Wisi arbeitet hart, um den Betrieb voranzubringen.

Dann kommt der verhängnisvolle 16. Oktober 2002: Wisi fährt mit dem Traktor und der Ballenpresse los, um Heu einzuholen. Doch mit der Presse stimmt etwas nicht. Bei laufendem Motor langt er mit der rechten Hand hinein, um den Defekt zu beheben, so, wie er es oft tut. Doch die Hand wird von der Maschine erfasst und mit ungeheurer Gewalt hineingezogen. Verzweifelt will sich Wisi befreien, stützt sich mit der linken auf eine Stange, rutscht ab, und der zweite Arm wird zermalmt.

Wenige Minuten später kommt sein Vater dazu, befreit ihn und ruft die Rega zu Hilfe. «Ich spürte keine Schmerzen und realisierte nicht, dass ich beide Arme verloren hatte», sagt Wisi. Doch das entsetzte Gesicht seines Vaters zeigt ihm, dass etwas Furchtbares geschehen ist.

Es folgen ein einmonatiger Aufenthalt im Unispital Zürich und mehrere Operationen. Alle ärztliche Kunst ist umsonst, Wisi bleibt nur ein Armstumpf. «Die Schmerzen waren manchmal unerträglich. Doch meine Liebe zu Angelika, die unser zweites Kind unter dem Herzen trug, gab mir Kraft. Ohne meine Frau hätte ich es wohl nicht geschafft.» Nach dem Spitalaufenthalt folgten mehrere Wochen in der Reha-Klinik in Bellikon AG. Jetzt sei es aus mit der Landwirtschaft, hiess es im Urnerland, er müsse aufgeben. Doch für den Bauern mit Leib und Seele steht fest: «Ich will zurück auf meinen Hof.»

Schnell war klar, dass der Betrieb von Milch- auf Fleischwirtschaft umgestellt werden musste. Alle Kühe wurden verkauft und Vater Alois kaufte Dexter-Rinder, eine irische Rasse, die vorzügliches Fleisch liefert, das von den Kunden des Bielenhofs sehr geschätzt wird.

Wie meistert ein behinderter Bauer den Alltag? «Bestens», sagt Wisi. Zum Beispiel nach dem Geschäft auf der Toilette? «Closomat», sagt er. Traktorfahren? «Rechte Schulter und linker Armstumpf.» Computer und Handy bedienen? «Mit Nasenspitze, Mund und Füssen.» Das Baby, das nach dem Unfall zur Welt kam, habe er wie eine Katze ihr Junges mit den Zähnen aufgehoben und es in den linken Armstummel gelegt.

Auch Wisis ältester Sohn Thomas will unbedingt Bauer werden. «Nach abgeschlossener Ausbildung kann er den Hof übernehmen», sagt Wisi. Auch der 15-Jährige hat einen eisernen Willen. «Ein Zgraggen-Grind eben», sagt Wisi und lächelt, besteigt den Traktor, um noch ein Fuder Heu einzubringen, bevor sich die Gewitterwolken am Bristenstock über dem Bielenhof entladen.

Familienfoto mit drei Generationen. Links oben: Wisi Zgraggen auf seinem Hof. Trotz Behinderung arbeitet er tatkräftig mit.

Familienfoto mit drei Generationen. Links oben: Wisi Zgraggen auf seinem Hof. Trotz Behinderung arbeitet er tatkräftig mit.

Buch- und TV-Tipp

Barbara Lukesch: «Bauernleben – Die unglaubliche Geschichte des Wisi Zgraggen», Wörterseh Verlag, Fr. 39.90.

Am 29. September ist er Gast in der TV-Sendung «Aeschbacher» (SRF 1, 22.20 Uhr).

Homepage des Bielenhofs: www.dexterzucht.ch