Nach trauriger Odyssee ­inneren Frieden gefunden

Weil er am Telefon eine Drohung aussprach, wurde der Schweizer Otto Höhn in Handschellen abgeführt. Das veränderte sein ganzes Leben.

Friedlich sitzt Otto Höhn am Tisch in einem Nebenge­bäude seines Elternhauses auf dem Wädenswiler Berg. Es ist der 10. September 2014. Doch die Ruhe des Bauernhofes wird jäh gestört. Mehrere Autos fahren vor, Polizisten in Kampfmontur springen heraus. Verwundert geht er hinaus. «Wir suchen Otto Höhn», hiess es. «Nun, hier gibt es zwei: meinen Vater und mich», erklärt der heute 57-Jährige. Aber sein Vater sei bettlägerig. «Soso! Da haben wir ja in Ihnen den Rich­tigen gefunden.» Und schon klicken die Handschellen.

Da wird ihm klar: Diese Festnahme hat mit der Drohung zu tun, die er Stunden zuvor, auf­gebracht und angetrunken, tele­fonisch gegenüber einer Mitarbeiterin der Invalidenversicherung ausgestossen hatte: «Ihr behandelt Menschen oft nachlässig. Wundert euch nicht, wenn es eines Tages an eurem Sitz in Zürich chlöpft. So wie am 11. September 2001 in New York.» Dass diese Worte Konsequenzen haben, wäre ihm nie in den Sinn gekommen.

Otto Höhn ist diplomierter Landwirt, arbeitete aber als Tiefbau­vorarbeiter in einem Baugeschäft. Am 20. März 2012 fühlte er sich während der Arbeit plötzlich unwohl. «Ich hatte Schwindel­gefühle und Wahrnehmungsstörungen.» Im Spital Horgen ver­sicherte man ihm, es sei nichts Schlimmes. Höhn konsultierte trotzdem seine Hausärztin, die ein MRI machen liess. Ergebnis: Er hatte einen Hirnschlag erlitten.

Später konnte er wieder zu 50 Prozent arbeiten. Nach einem halben Jahr war aber trotz Ergotherapie Schluss. «Ich hatte Mühe, mit meinen Händen etwas zu halten. Vor allem der linke Arm war wie taub.» Er wurde arbeitsunfähig geschrieben und nahm 2013 an einem IV-Eingliederungsprogramm teil. «Ich musste wieder lernen zu arbeiten, obwohl ich als Bauernsohn gewöhnt war anzupacken.»

Die Folgen des Hirnschlags trafen Höhn hart. «Ich hatte keine sinnvolle Beschäftigung mehr und griff in meiner Verzweiflung zum Alkohol.» Bei seinen Besuchen am IV-Sitz in Zürich fiel auf, dass er nebst einem gesundheit­lichen auch ein Alkoholproblem hat. «Meine Hausärztin riet mir deshalb, einen Psychiater aufzusuchen. Da kam ich zur Besinnung.»

Als Vorarbeiter hatte er eine Taggeldversicherung, die aber nur 400 Tage lang zahlte. «Zu stolz, um Unterstützung zu bitten, griff ich auf mein Erspartes zurück.» In seine Lebens- war auch eine Invalidenversicherung eingeschlossen. Aber die konnte die ihm zustehenden Gelder nicht auszahlen – es ging um Tausende Franken – weil er nicht IV-anerkannt war.

«Ich hatte Anspruch auf IV-­Unterstützung. Meine Lebensversicherung hätte mir die Invalidengelder ausgezahlt, wenn sie von der IV eine Bestätigung erhalten hätte.» Doch nichts geschah. «Ich fühlte mich von der IV verschaukelt und liess mich darum zu diesem Spruch hinreissen.»

Otto Höhn erzählt wieder von jenem verhängnisvollen Tag. «Wie einen Verbrecher überführten sie mich in die alte Zürcher Polizeikaserne.» Einem zugezo­genen Psychiater erklärte er, lieber bringe er sich um, als im Gefängnis zu schmoren. «Als suizid­gefährdet wurde ich in die Psychiatrische Klinik Burghölzli in Zürich ein­gewiesen.» Anschliessend sass er bis Januar 2015 im Bezirksgefängnis Zürich in U-Haft.

Zwischendurch kam er für zwei Wochen in die Psychiatrische Klinik Rheinau ZH. «Die vielen Medikamente taten mir nicht gut, und ich wollte weg. Darum erklärte ich meinem Betreuer, ich müsse Geschenke für meine Mutter kaufen. Er gab mir 200 Franken. Für jeden Insassen wird etwas Geld für den Neustart ins Leben beiseitegelegt. Ich haute ab.»

Abends, daheim bei seiner Mutter, bekam er abermals Besuch. «Ich wurde von der Polizei wieder nach Rheinau gebracht.» Um weiteres Ausreissen zu verhindern, wies man ihn 2016 für fast ein Jahr in die geschlos­sene Abteilung der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen TG. «Ich hatte es mit verständnisvollen Ärzten zu tun und durfte darum im Garten arbeiten. Aufgrund ihres positiven Berichts wurde ich endlich als IV-Fall anerkannt. Vier Jahre zu spät, aber immerhin wurden die Gelder rückwirkend ausgezahlt.»

Seine Odyssee ging aber weiter. Er wurde für ein Jahr in das Reha-­Haus Effingerhort in Holderbank AG gebracht. Otto Höhn sehnte sich nach einem normalen Leben, riss nach zwei Tagen aus – und wurde erneut zurückgeholt. Dann endlich, 2018, widerfuhr ihm Gerechtigkeit. Nach gründlichen Abklärungen wurden alle Massnahmen aufgehoben, und er fand im Reitstall «Seeli Ranch» in Samstagern ZH Arbeit. «Hier ist es wie im Paradies: Ich habe eine sinnvolle Aufgabe, einen guten Chef und ein intaktes soziales Umfeld.» Und er wohnt auf der Ranch. «Ich bin froh, wieder in geordneten Verhältnissen leben und arbeiten zu können. Der Umgang mit den Pferden macht mich glücklich, und als Hobby halte ich ein paar Geissen. Ich habe sehr gerne Tiere um mich und verbringe die meiste Zeit mit ihnen.» Dank ihnen fand er endlich wieder zu innerer Ruhe, die ihm jahrelang versagt blieb.