«Meine Zwillingsschwester schenkte mir ein Baby»

Die beiden ­waren immer füreinander da. Auch als die eine Schwester zu krank für eine Schwangerschaft war, half die andere ihr spontan.

Die Zwillinge Sarah und Cathey waren ihr ganzes Leben lang unzertrennlich gewesen. Als Kinder teilten sie sich das Spielzeug. Später gingen sie zusammen tanzen. Sie trauerten gemeinsam, als ihr Vater an Krebs starb, heirateten in kurzem Abstand und bekamen fast zur selben Zeit ihr erstes Baby. Auch wohnten sie nahe beieinander in Nashville (US-Staat Tennessee) und halfen einander mit Rat und Tat.

Dann schlug das Schicksal zu und drohte Sarah Sharps Glück zu zerstören. Cathey Stoner hatte schon zwei Mädchen, und ihre Schwester und ihr Mann hatten gerade beschlossen, auch noch ein zweites Kind zu bekommen. «Es begann mit starken Unterleibblutungen», erzählt die Architektin Sarah (33). Richard Sharp (35), ihr Mann, brachte sie sofort ins Krankenhaus. Nach der Unter­suchung empfahlen die Ärzte dringend eine Entfernung der Gebärmutter. Entsetzt rief Sarah ihre Schwester an: «Sie wollen nicht, dass ich noch ein Baby kriege. Wir können doch unsere kleine Charlotte nicht allein lassen.» Gewohnt, jeden Kummer gemeinsam zu tragen, raste auch Cathey, Ernährungsberaterin von Beruf, zum Hospital. «Wenn sie dir deine Gebärmutter nehmen, werde ich euer Baby austragen!» rief sie. Wie sie heute einräumt, war es eine rein spontane Bemerkung. Sie glaubte damals nicht, dass es so weit kommen würde.

Sarah wurde dann auch, nach einer kleineren Operation, mit intaktem Uterus entlassen. Aber sechs Monate später begannen die Blutungen erneut. Nun entdeckten die Mediziner eine aggressivere Art Krebs an der Gebärmutter. Während Sarah sich einer Che­motherapie unterzog, schlief ihr Zwilling im Bett nebenan, um jederzeit helfen zu können. Catheys Mann Alex Stoner (36) kümmerte sich unterdessen um ihre Kinder Ruth (7) und Samson (4) und nahm sich auch Sarahs und Richards vierjähriger Tochter Charlotte an.

Sarahs Krebs verschwand nicht. Nach neun Monaten sagten die Ärzte zu ihr: «Wenn Sie Ihre Gebärmutter nicht amputieren lassen, werden Sie bald sterben.» «Erinnerst du dich an mein Versprechen?», fragte Cathey, als Sarah ihr von der Warnung der Ärzte berichtete. «Das Angebot steht immer noch.» Dankbar nahm ihre Schwester an. «Danach gingen wir durch ein paar sehr dunkle Monate», erzählt Cathey. «Oft fürchteten wir, Sarah zu verlieren.»

Nach einer langen Reihe von Tests und Behandlungen in einer Fruchtbarkeitsklinik pflanzten Experten ein Embryo von Sarah und ihrem Mann in die Zwil­lingsschwester Cathey. «Meine Schwangerschaft verlief völlig normal», freut sich Cathey. «Wie bei meinen eigenen Töchtern. Obgleich ich mich mit dem neuen ungeborenen Baby verbunden fühlte, war mir immer bewusst, dass es nicht mein eigenes Kind sein würde. Ich wollte meiner Schwester den Kleinen ohne gefühlsmässige Probleme über­lassen können.»

Sarah und Richard Sharp gaben dem Baby den Namen John Ryder. «Weil er eigentlich uns vieren gehörte, verbrachten wir alle während Catheys Schwangerschaft eine Woche am Strand von Cancún in Mexiko», lacht Sarah. Um ihrer Schwester die Wartezeit zu erleichtern, massierte sie ihr re­gelmässig die Füsse und schleppte pfundweise Glacé an.

Am Morgen der Geburt waren ausser den beiden Frauen auch die Ehemänner im Spital. Sarah fragte sich, während sie auf die Geburt ihres Kindes wartete: «Bin ich wirklich in der Lage, den Kleinen an meine nackte Brust zu legen, wie die Hebamme es empfohlen hat? Werde ich Muttergefühle empfinden?»

Nachdem John Ryder geboren war und Sarah sah, wie Cathey ihn stillte, dachte sie zuerst: «Ein fremdes Baby. Es ist nicht meines. Es ist ihres, sieht auch so aus wie sie.» Als der Kleine dann an ihrer Brust ruhte, fühlte sie aber doch, dass sie seine Mutter ist. Sie reichte ihm die Flasche mit Catheys abgepumpter Milch und wickelte ihn. Und als ihre Tochter Char­lotte ins Zimmer stürmte und das Baby «meinen kleinen Bruder» nannte und ihn küsste, sagte Sarah zu ihrer Zwillingsschwester: «Danke, Cathey. Wir sind jetzt eine grosse Familie.»