«Meine Tochter hat mich gepflegt − jetzt ist sie tot!»
Jenny kümmerte sich immer rührend um die Mutter. Doch dann erkrankte die junge Frau an Krebs und starb mit 18.
Sie hört ihr fröhliches Lachen, sieht die strahlenden Augen, erträumt sich die liebevolle Zuwendung. Für Sandra Gläser (45) ist Tochter Jenny immer noch bei ihr. «Es geht nicht in meinen Kopf, dass meine kleine Jenny nicht mehr wiederkommen soll. Ich denke immer, gleich geht die Tür auf, sie nimmt mich in den Arm und küsst mich.» Jenny ist Sandras jüngste Tochter, und in den letzten Jahren war das Mädchen mit den langen, blonden Haaren auch ihre grösste Stütze.
Rückblick: Nach einem Autounfall 2003 erkrankt die alleinerziehende Mutter aus Rosenheim (D) an Morbus Sudeck, einer schmerzhaften Erkrankung der Gliedmassen. Nach qualvollen Jahren wird sie zum Pflegefall und 2013 schliesslich dauerhaft berentet. Sandra ist hilflos. Sie muss gewaschen und angezogen werden, kann nicht mehr allein essen und verbringt die meiste Zeit des Tages im Bett. Ihr einziges Glück sind die drei Kinder, von denen sich Tochter Jenny besonders liebevoll um sie kümmert.
«Sie war mein Nesthäkchen, hat damals noch bei mir gewohnt und ist immer für mich da gewesen. Sie hat mir Mut gemacht, an mich appelliert, nicht aufzugeben. Ihre Kraft hat mich überleben lassen.» Doch im Februar 2017 ist die starke Jenny plötzlich ganz schwach. Sie klagt über Schmerzen in der linken Brust, macht sich Sorgen. Hat sie Brustkrebs? Mit 17 Jahren? Sandra schickt die Tochter zur Frauenärztin. Die beruhigt das Mädchen, untersucht sie aber nicht weiter. «Sie meinte nur, sie sei zu jung für Brustkrebs, und hat sie nach Hause geschickt», sagt Sandra und ihre Stimme klingt bitter. «Dadurch haben wir wertvolle Zeit verloren.»
Denn die Schmerzen werden immer schlimmer, die Brust schliesslich hart und blau. Sandra will endlich Klarheit für ihr kleines Mädchen, rappelt sich auf, um mit ihr die beschwerliche Fahrt in eine Klinik zu meistern. Im Herbst 2017 hört sie dann die niederschmetternde Schockdiagnose: Jenny hat einen sehr seltenen und hochaggressiven Tumor in der Brust, der bereits im ganzen Körper gestreut hat.
Das Mädchen steht unter Schock. «Die Kleine hat fürchterlich geweint. Sie hatte einen Ausbildungsplatz als Zahntechnikerin, sich gerade frisch verliebt. Sie wollte leben – und jetzt das.» Jennys Brust wird sofort amputiert, danach bekommt sie eine Chemotherapie und Bestrahlung.
Ungeheuer tapfer nimmt Jenny ihr Schicksal an, verliert dabei ihr helles Lachen nicht und lebt intensiver denn je. Sie geniesst die junge Liebe, verreist mit ihrem Freund, vergisst dabei aber nie die Mutter. «Sie war, so oft es ging, bei mir, hat sogar immer noch versucht, mich aufzuheitern.» Auch Sandra will dem Schicksal trot-zen, glaubt trotz aller grausamen Prognosen fest daran, dass Jenny gesund wird. Auch noch, als sie Mitte Juni 2019 mit einer Hirnblutung auf einer Musikveranstaltung zusammenbricht. Heraus kommt: Sie hat jetzt auch noch Metastasen im Kopf, muss notoperiert werden.
Noch einmal wird sie Anfang Juli entlassen, und Mutter und Tochter treffen sich in der Stadt zum Kaffee. Dieses Mal erholt sich Jenny nicht. Anfang Juli 2019 kommt sie mit starken Schmerzen in die Klinik. Am 7. Juli schläft sie in Sandras Armen ein, umringt von den Grosseltern, Geschwistern und ihrem geliebten Freund.
Was Sandra jetzt hilft, ist die Erinnerung. «Ich habe die Bilder meiner Tochter fest in meinem Herzen verschlossen. Jeden Tag gehe ich daran, wie an einen Safe, und dann steht Jenny neben mir, lächelt und hält meine Hand. Es sind diese Momente, die mich weitermachen lassen.»