«Meine Mama muss niemals in ein Heim»

Nach einem Schlaganfall konnte Hilde nicht mehr zurück in ihre Wohnung. Da hatte ihre Tochter eine Idee – die ­beide glücklich macht.

Sie lachen viel, lieben gemeinsame Spaziergänge in der Mittagssonne, und einmal in der Woche gehen sie fein essen: Myrna (57) und ihre Mutter Hilde (84) sind ein Traumteam. «Ich bin so froh, dass ich in der Nähe meiner Tochter leben kann», meint Hilde. Und Myrna sagt: «Ich liebe meine Mama und bin glücklich, wenn sie glücklich ist.»

Bis vor zwei Jahren sahen sich Mutter und Tochter nur in den Ferien. Denn Hilde wohnte in Berlin und Myrna seit fast 30 Jahren auf Teneriffa. Sie arbeitet als Tourismusexpertin in einer Küsten-Gemeinde.

Im Frühjahr 2017 hat sie plötzlich einen Arzt am Telefon: Ihre Mutter hat einen Schlaganfall erlitten und liegt im Krankenhaus. Sie hat sich zwar erstaunlich gut erholt, kann aber nicht mehr allein leben. Doch wo soll Hilde jetzt hin? Der Arzt ist direkt. «Wir kümmern uns um einen Heimplatz!»

Hilde weint, akzeptiert aber die Entscheidung. Anders als Myrna. Sie reagiert sofort, meint nur: «Meine Mama geht in kein Heim. Ich komme!» Zwei Tage später sitzt sie bei ihrer Mutter am Klinikbett, streichelt ihre mageren Hände und sagt: «Du kommst zu mir in die Sonne. Du liebst doch die Insel!» Hilde weint, aus Erleichterung und Freude. «Ich wollte nie in ein Heim, aber ich wollte auch meiner Tochter nicht zur Last fallen. Sie ist Single, hat einen anspruchsvollen Job und engagiert sich zusätzlich im Tierschutz.»

Doch Myrna ist patent, hat längst einen Plan im Kopf. Und dann geht alles ganz schnell. Mit Hilfe einer Nachbarin löst sie Hildes Wohnung auf, verschifft liebgewordene Erinnerungsstücke wie Bilder, schöne Vasen, Bücher und wenige Möbel mit einer Spedition und sitzt schon zwei Wochen später mit ihrer Mutter im Flieger.

«Mama war so glücklich und freute sich riesig auf ihren Neustart. Wir haben im Flugzeug mit einem Glas Sekt darauf angestossen.» Auf der Insel hat sie für die Mutter bereits eine hübsche Drei-Zimmer-Wohnung mit Meerblick organisiert und eine Pflegerin eingestellt, die rund um die Uhr bei der Mama ist. «Als wir ankamen, hatte Myrna schon alles geregelt. Ich war baff.» Die Wohnung findet Hilde «traumhaft», mit der Pflegerin versteht sie sich prima. Innerhalb kürzester Zeit lernt sie Spanisch. Hilde: «Ich frühstücke jetzt mit Meerblick, blinzele in die Sonne, und es duftet nach Jasmin. Mein Leben hier ist ein Volltreffer.»

Myrna kommt jeden Tag nach der Arbeit vorbei und sieht nach dem Rechten. Am Wochenende löst sie die Pflegerin ab. «Dann gehen Mama und ich erst einmal zum Einkaufen. Sie mag die spanische Küche mit viel Olivenöl und unsere herrlichen Früchte, natürlich auch die berühmten Bananen», sagt Myrna.

Am Abend sehen sie oft gemeinsam fern, naschen Leckereien von der Insel und erzählen sich viel von früher. Aber Myrna möchte auch, dass ihre Mutter in der Gegenwart lebt und fährt sonntags immer mit ihr über die Insel. Sie vertraut ihr auch Hunde und Katzen aus dem Tierschutz an, die Betreuung oder Pflege brauchen. «Mama macht das gern. Die kranken Tiere schlafen auf ­ihrem Schoss und bekommen reichlich Streicheleinheiten.» Sie weiss genau: diese Zuwendung tut beiden gut.

Den Entschluss, die Mutter auf die Insel zu holen, hat sie noch keine Sekunde bereut. «Es passt prima. Wir beide geniessen es, wieder Zeit miteinander zu haben und von den guten alten Zeiten zu schwärmen», meint Myrna. Und Hilde fühlt sich wunderbar aufgehoben. «Mein Leben ist hier paradiesisch. Statt allein in einem Heim zu sein, lebe ich mit einer liebevollen Pflegerin, die mich nicht im Eiltempo versorgt, sondern ganz viel Zeit für mich hat. Und das Beste: Ich kann mir das von meiner Rente und dem Pflegegeld sogar ganz allein leisten. Ich habe allen Grund, dankbar zu sein.»