«Mein Hauptjob ist, Senioren pausenlos Trost zu spenden»

Sie opfert sich während Corona für die Bewohner des Altersheims auf, arbeitet oft zehn Stunden ohne Pause. Doch Maria jammert nicht, ist glücklich, wenn sie helfen kann.

Unseren Senioren geht es sichtbar besser», strahlt Maria (53) erleichtert. «Dank der gelockerten Besuchsregeln konnten sie endlich wenigstens einige ihrer Angehörigen wiedersehen. Es sind in den letzten Wochen viele Freudentränen geflossen.» Maria ist seit 35 Jahren Pflegerin im Altersheim und steckt viel Herzblut in ihre Arbeit. «Es ist und bleibt mein Traumberuf. Auch wenn es im Moment alles andere als leicht ist, und wir alle aus der Pflege jeden Tag an unsere Grenzen kommen.»

Die nach wie vor strengen Hygienevorschriften und der damit verbundene Papierkram ist zeitraubend und belastend. «Ständig ändern sich die Vorschriften, und wir sind nun mal verantwortlich, dass jeder – Bewohnerinnen und Bewohner wie auch die Gäste – sie einhält. Nicht alle sind einsichtig. Man muss viel reden und manchmal auch energisch sein.» Dazu fällt ihr die stundenlange Pflege mit einer Schutzmaske im Gesicht sehr schwer. Maria hat nachts bis zu Zehn-Stunden-Schichten ohne Pause, bei denen sie auch körperlich fordernde Arbeiten machen muss. «Wenn ich zum Beispiel jemanden heben muss, schwitze ich, und die Brille beschlägt häufig. Die Maske ist zwar sinnvoll, aber auch zusätzlich erschwerend.»

Doch noch anstrengender ist es für sie, ihre Schützlinge seelisch zu betreuen. Denn sie muss ihnen die grossen Ängste vor einer Infektion mit Covid-19 nehmen und die zwischenmenschlichen Defizite ausgleichen. Seit Mitte März gibt es für die Senioren nur wenige Kontakte auf Abstand, keine Umarmung, kein Küsschen, keinen Körperkontakt. Das setzt den alten Menschen zu. Viele haben sich komplett in ihre Zimmer zurückgezogen, wollen nicht mal mehr mit den anderen essen. Durch das Alleinsein bauen sie körperlich und geistig schnell ab. Maria versucht, genau wie ihre Kolleginnen, Tag für Tag aufs Neue gegenzusteuern. «Das heisst fordern und beschäftigen, wir lösen Kreuzworträtsel und spielen ‹Eile mit Weile›. Aber in erster Linie heisst das: trösten, erklären, zuhören und Mut machen. Immer wieder. Stundenlang. Bis man irgendwann ein zuversichtliches Lächeln in die Gesichter zaubert.»

Ablenkung ist natürlich hilfreich. Maria scherzt gern, lacht viel. Auch gute Ideen und viel Kreativität sind gefragt. «Wir überlegen uns ständig ein neues Unterhaltungsprogramm mit Basteln und Singen, Sport und Tanz, Bewegungsspielen. Damit möglichst viele Senioren mitmachen können und das Thema Corona zumindest für kurze Zeit aus ihren Köpfen verschwindet.» Allerdings geht das nur in kleinen Gruppen auf der Station oder im endlich wieder zugänglichen Garten, aber immer mit streng eingehaltenen Abstandsregeln. Grosse Veranstaltungen mit allen Bewohnerinnen und Bewohnern sind nach wie vor verboten.

Gegen das Alleinsein gibt es zu den üblichen Telefonaten und Briefen auch regelmässig organisierte Video-Gespräche, meistens mit den Kindern und Enkelkindern. «Es ist jedes Mal schön, die Freude auf beiden Seiten zu sehen», erzählt Maria, die zugibt, dass auch bei ihr dabei manchmal die Tränen kullern. «Wenn die
Enkel dann Lieder singen oder ihr Spielzeug zeigen, läuft mir oft ein Schauer über den Rücken.»

Insgesamt ist die Zeit für sie «hart», gesteht Maria. Aber klagen mag sie nicht. «Klar falle ich nach jeder Schicht todmüde ins Bett. Aber ich bekomme auch viel zurück.» Man könne sich kaum ausmalen, wie dankbar und lieb die alten Menschen seien. «Sie haben doch im Moment fast nur uns und brauchen uns mehr denn je. Unsere Pflege, unsere Fürsorge, unser offenes Ohr und ganz viel Liebe. Mein Hauptjob ist, ihnen pausenlos Trost zu spenden.»

Das alles endet für Maria nicht an der Pforte des Heimes. Um ihre betagten Schützlinge nicht in Gefahr zu bringen, meidet sie nach wie vor private Kontakte zu Menschen ausserhalb der Familie. Die Freizeit verbringt sie am liebsten im eigenen Garten. An Sommerferien denkt sie nicht. «Ich warte noch ab, im Moment geht für mich Sicherheit vor Vergnügen. Ich bin für schutzlose Menschen da, für alte und schwache, und jeder von ihnen hat es verdient, dass ich mein Bestes gebe.»