«Man sollte mehr über sich selbst lachen»

Scheinbar abwesend sitzt Dominic (23) neben seiner Mutter Erika (57). Nach der ersten Frage des Journalisten – wir haben uns auf das Du geeinigt – nimmt sie sachte Dominics rechte Hand und führt sie zu einer auf Papier gedruckten Tastatur. Flink huschen seine Finger darüber und seine Mutter liest vor, was er tippt.

GlücksPost: Du bist geistig nicht behindert. Wie ist das, wenn dich jemand trotzdem entsprechend behandelt?
Dominic: Das ist manchmal sehr nervig. Für uns Autisten ist es schwierig, eure Sprache zu deuten. Ausdrücke, ungenaue Mengen- und Zeitangaben können verwirren. Das ist nur ein Beispiel aus den vielen täglichen Herausforderungen.

Warum empfiehlst du in deinem Buch, man solle ab und zu mit dem Bauch denken?
Was der Kopf nüchtern erledigt, das macht der Bauch mit Liebe für dich und oft erst noch besser. Ich liebe meinen Bauch, weil er mir Wärme abgibt und viel Energie für meine Entscheidungen.

Warum gabst du deinem Autismus den Namen «Jonas»?
Irgendwie musste ja mein zweites Ich einen Namen haben, damit ich die beiden unterscheiden kann. Jonas ist ein guter Name dafür.

Dominic wird unruhig, steht auf. Seine Mutter bittet ihn, sich wieder zu setzen. «Als er 13 Monate alt war», erinnert sie sich, «merkte ich, dass etwas nicht stimmt.» Es folgten langwierige Abklärungen und Therapien. Dank ihnen und der liebevollen Zuwendung seiner Mutter, seines Vaters Bernard (56) und der beiden Schwestern Nathalie (26) und Melanie (19) machte er grosse Fortschritte und besuchte
in Begleitung einer schulischen Heilpädagogin zehn Jahre lang eine normale Schule.

«Carpe diem, geniesse den Tag», schreibst du in deinem Buch. Was ist für dich ein guter Tag?
Wenn ich machen kann, was ich will. Das ist super. Dann ist der Stresspegel auch nicht so hoch.

Dominic spricht kaum. Doch seine getippten Antworten sind klar und deutlich. Wie kann Erika Müller seinem schnellen Tippen folgen? «Jahrelange Übung», sagt sie. Daheim im bernischen Leissigen schreibe Dominic direkt in seinen Computer. Doch hier im Interview gehe das nicht, weil er sich vom Computer ablenken lasse.

Du reisst gerne aus. Einmal warst du gar auf dem Pannenstreifen einer Autobahn auf dem Weg nach Hause. Das ist sehr gefährlich.
Was gefährlich ist, sieht jeder etwas anders. Einer der am Trapez turnt, lebt ja auch gefährlich.

«Geredet wird bei uns Autisten nicht viel, aber viel gelacht», schreibst du in deinem Buch. Täte das auch Nicht-Autisten gut?
Sicher. Vor allem über sich selbst lachen. Ich bin auch humorvoll mit euch Normalen. Man sollte das Leben nicht so tierisch ernst nehmen.

«Gott ist komplett humorvoll, sonst könnte er die Menschen nicht ertragen», notiertest du. Besuchst du Gottesdienste?
Nein, ich kann nicht so lange stillsitzen. Meine Mutter hält mir ja manchmal auch eine Predigt. Das reicht dann auch.

Warum sind Ferien für dich ein Horror?
Weil es nichts Gewohntes und darum für mich Stress pur ist. Wie sagt man so schön: Zu Hause ist es am schönsten. Da frage ich euch: Warum geht ihr dann weg?

Dominic fühlt sich von der virtuellen Welt magisch angezogen: Gameboy, Handy und Computer.

Als Sechsjähriger hast du in einem Hotel den Gästecomputer geknackt. Wie hast du das geschafft?
Das sage ich dir sicher nicht. Das wäre ja katastrophal, wenn das jeder wüsste.

Dominic wird wieder unruhig. Als Schlusswort tippt er auf die Papiertastatur: «Ich verrecke ab mir selber, wie gut ich heute dastehe. Dennoch reicht es nicht, in eurer Welt zu genügen. Aber ich habe ein Buch geschrieben. Und das haut mich aus den Socken!»