«Innert Minuten war das Glück unserer Familie zerstört»

Zum ersten Mal fuhr Familie Meister aus ­Frauenfeld TG gemeinsam ans Meer nach ­Mallorca. Doch der Aufenthalt endete in einer Tragödie, denn Papa Hansjörg ertrank vor den Augen seiner Frau und seines Sohnes.

Die Sonne lacht vom Himmel über Mallorca. Am zweiten Tag ihrer Ferien spazieren Hansjörg Meister (52), seine Frau Hanni (47) und ihr zwölfjähriger Sohn Raphael im Badeort Colònia de Sant Jordi dem Strand entlang. Die 15-jährige Tochter Michaela ist im Hotel geblieben. Die Familie will sich dort um 13 Uhr zum Essen treffen.

«Papi», fragt der Sohn, «schwimmen wir noch eine Runde?». Der Vater geht sofort ins Wasser und schwimmt davon. Mutter und Sohn plaudern noch. Nach ein paar Minuten schaut Hanni Meister aufs Meer hinaus und sieht ihren Mann im Meer treiben. «Dein Vater macht wieder ein Spässchen», scherzt sie und späht erneut hinaus. Hansjörg Meister bewegt sich nicht.

Da packt sie die Panik. Sie stürzt sich ins Wasser und zieht den Leblosen an Land. Dort beginnt einer der Badegäste mit einer Herzmassage, und Hanni Meister beatmet ihren Mann von Mund zu Mund. Vergeblich. Nach einer halben Stunde erscheint endlich eine Ärztin, untersucht ihn und stellt trocken fest: «Er ist tot» – und verschwindet ohne ein Wort der Anteilnahme.

«Mein Sohn und ich standen unter Schock», erinnert sich Hanni Meister. Das gleichgültige Verhalten der Ärztin belastet beide bis heute. «Am schlimmsten litt Raphael. Er gab sich die Schuld am Tod seines Vaters, weil er ihn zum Schwimmen aufgefordert hatte.» Zudem mussten sie Michaela die schreckliche Nachricht überbringen. Die Leiche wurde obduziert und der Befund lautete: Tod durch Ertrinken.

Nach der Rückkehr in die Schweiz wusste Hanni Meister nicht, wie es weitergehen sollte. Das erste Jahr war besonders schlimm. Als Mutter funktionierte sie nur: schaute zu ihren Kindern, besorgte den Haushalt und arbeitete von zu Hause aus für die Strassenbaufirma, die ihr Mann zusammen mit seinem Bruder gegründet hatte. Raphael, der seinen Vater vergötterte, war wegen seiner Schuldgefühle noch drei Jahre lang bei einem Kinderpsychologen in Behandlung. «Meine Tochter befand sich mitten in der Pubertät, aber nach dem Unglück wurde sie quasi über Nacht erwachsen», sagt Meister.

Das Drama hat die drei noch enger zusammengeschweisst. Aber Hanni Meister hatte das Lachen verlernt. Wenn die Kinder heimkamen, fragten sie oft: «Mami, hast du wieder geweint?» Ein paar Monate nach dem Unfall brachte Michaela ihre Mutter endlich wieder zum Lachen. «Mami», jubelte sie, «ich bin so glücklich, dass du wieder lächelst.»

Da sei ihr ein Licht aufgegangen, erinnert sich Hanni Meister. «Meine Kinder haben keinen Vater mehr und eine weinende Mutter. So geht das nicht weiter. Reiss dich zusammen!» Sie befreite sich aus der selbst gewählten Isolation, lud wieder Freunde ein und fand langsam zurück ins Leben. Die Unterstützung von Verwandten und Freunden half ihr dabei. Sie trieb wieder Sport und siedelte nach Klosters über, wo sie eine Wohnung gekauft hatte.

Seit der Tragödie sind viele Jahre vergangen. Heute ist Hanni Grossmutter und liebt ihre beiden Enkel über alles. «Der Opa hätte an euch beiden eine Riesenfreude gehabt», erzählt sie ihnen manchmal. «Leider ist er nicht mehr unter uns. Doch an seiner Stelle bin ich immer für euch da.»