Immer fest an sich geglaubt

Mit 18 Jahren mussten ihre beiden Beine amputiert werden. Doch ihr Selbstbewusstsein sollte darunter nicht leiden – im Gegenteil!

Von Aimee Braniff Cree

Angestarrt zu werden – für Hülya Marquardt eine alltägliche Situation, wenn sie unterwegs ist. Sie hat keine Beine mehr, bewegt sich meist auf dem Skateboard oder im Rollstuhl fort. «Manche meinen, dass mein Anblick nur schwer zu ertragen sei, speziell wenn sie mich kriechend am Strand oder im Freibad sehen», erzählt die 39-Jährige. «Die Kommentare oder das Starren lassen mich jedoch kalt.»

Mit Beeinträchtigungen ist die gebürtige Türkin – ihre Eltern zogen kurz vor ihrer Geburt nach Deutschland – bereits zur Welt gekommen. Ihre Hände waren deformiert, ihr Beine hatten eine Fehlstellung. Wegen der brüchigen Knochen waren in ihren jungen Jahren mehrere Operationen nötig. Ihr Zustand blieb stabil – bis zu ih-rem 18. Lebensjahr, welches eine tiefgreifende Veränderung mit sich brachte.

Denn vor allem das rechte, immer weniger funktionsfähige Bein bereitete den Ärzten Sorge. Hülya Marquardt wird eine Amputation empfohlen, sie willigt ein. Nur wenig später eine weitere Hiobsbotschaft: Blutvergiftung im linken Bein – ausgelöst durch eine Titanschraube, die sie als Kind zur Begradigung eingesetzt bekommen hatte und die jetzt eine Entzündung verursachte. «Die Sepsis breitete sich schnell aus, und so blieb mir nichts anderes übrig als eine Not-OP, damit mein Leben gerettet werden konnte.»

Die Amputation beider Beine habe sie verunstaltet zurück-gelassen, erinnert sie sich an ihre Gefühle als junge Frau kurz nach dem Eingriff. «Ich hatte auf einmal nur noch einen halben Körper. Und die Welt musste ich plötzlich aus einer total anderen Perspektive erfahren.» Doch sie kämpfte dagegen an, sich negativ beeinflussen zu lassen. «Ich wollte nicht, dass die Deformation meinem Selbstbewusstsein schadet.» Mit dem Skateboard fand Hülya ein für sie ideales Fortbewegungsmittel, gewann auch eine gewisse Unabhängigkeit zurück. Zwar hat sie auch Prothesen, aber kann nicht lange damit gehen, da die Beinstümpfe sie schnell schmerzen.

«Wenn ich Hilfe benötige, schäme ich mich nicht dafür», erzählt Hülya Marquardt weiter. «Indem ich mich zeige, wie ich bin, trage ich zur Normalisierung von Menschen mit anders ausschauendem Körper bei.» Sie führe ein glückliches Leben, bekräftigt sie, die in der Region Stuttgart (D) wohnt, verheiratet ist, einen dreijährigen Sohn hat und mit ihrer Schwiegermutter eine Modeboutique betreibt. «Ich lernte meinen Mann übers Internet kennen, verbarg ihm anfänglich meine fehlenden Beine. Meine Sorgen waren unberechtigt – er findet mich attraktiv, genauso wie und wer ich bin.»

Aus einer Behinderung wachse Kraft und Stärke wegen all der Erfahrungen, ist Hülya überzeugt. «Und im Anderssein liegt eine ganz besondere Schönheit.»