Neue Existenz
«Ich musste flüchten, um ein neues Leben beginnen zu können»
Nach dem Tod ihres Mannes verliess Christine Keusch ihren Wohnort Gossau ZH und baute sich eine neue Existenz auf Sri Lanka auf.
Sie lacht viel, ihre Augen blinzeln fröhlich, und wer in ihrer Nähe ist, spürt echte Lebensfreude. Wenn Christine Keusch morgens mit Meerblick frühstückt und abends barfuss am Meer entlangspaziert, fühlt sie sich so, als könne sie «Palmen ausreissen», wie sie strahlend erzählt. Die 53-Jährige ist heute ganz sicher, dass sie nur auf der Tropeninsel Sri Lanka den schlimmsten Schicksalsschlag ihres Lebens bewältigen konnte: den Tod ihres geliebten Mannes Lorenz, mit dem sie zwölf Jahre lang in Gossau ZH gelebt hatte. Der Schweizer Ingenieur starb 1997 an Krebs. Einziger Trost war damals ihr Haus im fernen Sri Lanka. Das hatte ihr Mann 1990 während eines Ferienaufenthaltes gekauft. Es herrschte Bürgerkrieg auf der Insel, Immobilien waren spottbillig.
Dieses Grundstück wurde für Christine in der Not zum Rettungsanker. Wenn ihr in der Heimat die Sorgen über den Kopf wuchsen, flüchtete Christine in die Sonne. Sie liebt das Klima und die Menschen. Eines Tages dann beschloss sie, auf dem Inselstaat im Indischen Ozean ein neues Leben zu beginnen. «Ich musste ins Paradies, um neu anfangen zu können», erklärt sie.
Im Sommer 2000 flog sie wieder nach Sri Lanka, liess das Rückflugticket jedoch verfallen und stürzte sich in die Arbeit. Ihr Plan: Sie wollte das Haus vergrössern und daraus ein Hotel machen. «Der Start war schwer», sagt Christine. Sie vermisste ihren Mann, fühlte sich einsam. Dazu kam ein gefährliches Tropenfieber. «Ich fühlte mich erst wohler, als eine liebe Nachbarin mir Ölgüsse verabreichte.»
Christine wurde neugierig und liess sich auf die indische Gesundheitslehre Ayurveda ein. Dank diverser Tees, Yoga und Meditation ging es ihr von Tag zu Tag besser. Begeistert vom «Wissen vom Leben», wie Ayurveda übersetzt heisst, baute sie ihr Haus entschlossen zum Ayurveda-Hotel um, mit einem Pool, einem Restaurant und grosszügigen Spa-Räumen. Sie stellte zwei Ärzte und Therapeuten ein, eröffnete Ende 2001 das «Lawrence Hill Paradise Hotel» in Hikkaduwa, benannt nach ihrem geliebten Mann.
Ihr Konzept: exotisches Flair mit deutscher Betreuung. Sie hatte von Anfang an Erfolg. Ihre Gäste kommen meistens aus ihrer Heimat, mögen das gepflegte Stückchen Erde mit dem vertrauten Service.
Heute, rund 16 Jahre später, hat Christine Keusch ein 14-Zimmer-Haus mit 50 Angestellten. Es ist ganzjährig geöffnet. Sie hat 365 Tage Alltag, straff gefüllt mit Management-Aufgaben. Dazu kümmert sie sich liebevoll um die Gäste, isst jeden Mittag mit ihnen und gibt Tipps, wo die schönsten Buddha-Statuen stehen und welche Plantagen man besichtigen kann. Anstrengend sind die zahlreichen Behördengänge, für fast alles braucht es eine Genehmigung aus der Hauptstadt Colombo. «Uns Ausländern sieht man besonders auf die Finger», sagte Christine Keusch. Stress wie früher kenne sie jedoch nicht mehr. «Der Alltag auf der Insel lässt das nicht zu. Hektik ist nicht beliebt. Man nimmt sich für alles viel Zeit.»
Obwohl sie jedes Jahr in die Heimat fährt, um die Familie zu treffen, wird sie in Sri Lanka bleiben. «Diese Insel hat mir meine Kraft und Lebensfreude zurückgegeben. Die Entscheidung, hierher zu gehen, war goldrichtig.»