Liebe
«Ich habe einen Mörder geheiratet – und bereue nichts»
Bianka ahnte nicht, was auf sie zukommen würde, als sie den Brief eines Fremden öffnete. Der Absender war ein Schwerverbrecher, der seit 45 Jahren im Gefängnis sitzt. Obwohl die Familie sie warnte, liess Bianka sich auf ihn ein.
Die Liebe geht oft seltsame Wege. Und manche sind für Aussenstehende ganz und gar nicht nachvollziehbar. Weil ein Paar so gar nicht zueinander passt. Oder weil eine Frau wissentlich einen Mörder heiratet. So wie Bianka (59) aus Karlsruhe (D). «Wie kann sie nur», fragt man sich kopfschüttelnd. Doch wenn Bianka dann zu erzählen beginnt, wird klar: Sie ist keine, die an einem Helfersyndrom leidet. Sie ist eine Frau, die einfach nur liebt.
Es begann vor 14 Jahren: Kinderkrankenschwester Bianka fand in der Post einen Brief aus Amerika. Ein gewisser Richard (62), der denselben Nachnamen trug wie sie, suchte nach deutschen Verwandten. Bianka freute sich darüber, denn auch sie interessierte sich für Ahnenforschung. Ein Teil ihrer Familie ist vor 150 Jahren ausgewandert. Richard könnte ein entfernter Verwandter sein. «Zwischen uns hat sich schnell eine Brieffreundschaft entwickelt», erzählt Bianka. Und es ging schnell nicht mehr nur um gemeinsame Wurzeln. «Wir teilten auch andere Interessen: Abenteuerbücher, Reiseberichte, Musik von Country bis Klassik. Aber wir haben uns auch über persönliche Dinge ausgetauscht, christliche Fragen diskutiert und uns geschrieben, wie wir sinnvoll und nachhaltig leben wollen.»
Bianka lebte damals allein, liebte ihren Beruf, hatte viele Freunde. Sie kannte weder Einsamkeit noch Langeweile. Doch auf die Briefe aus Amerika freute sie sich von Monat zu Monat mehr. «Richard und ich hatten eine ungewöhnliche Nähe aufgebaut. Ich dachte viel an ihn.»
Doch sie wurde bald skeptisch. Etwas stimmte nicht mit dem Absender. Es war keine gewöhnliche Adresse, sondern eine Ansammlung merkwürdiger Nummern. Als sie nachfragte, schrieb Richard ihr offen, dass er ein verurteilter Mörder und seit 32 Jahren in Haft sei – ohne Hoffnung auf Begnadigung. Er war als Kind in Pflegefamilien aufgewachsen. Mit 17 haute er ab und erschoss auf der Flucht eine Frau. Bianka war schockiert. Sie hatte eine Brieffreundschaft mit einem Mörder! Passte das zu einer Christin? «Ich meinte ‹Ja›. Richard bereut seine Tat zutiefst. Er ist in der Haft zu einem anderen Menschen geworden. Er hat sich zum Diakon ausbilden lassen und hat wie jeder Mensch eine zweite Chance verdient.»
Und sie hatte sich in Richard verliebt, obwohl sie nie eine normale Beziehung mit ihm würde führen können. Warum? «Es war diese Ruhe, die er vermittelte, diese Reife dem Leben gegenüber. Er war immer dankbar und fröhlich. Er hat sich nie beklagt. Dieser Mensch berührte etwas ganz tief in mir.»
Ihn nach seinen offenen Worten fallenlassen? Nein! Im Gegenteil. Sie flog nach Pennsylvania, verbrachte dort ihre gesamten Ferien. Bekannte und Freunde reagierten mit Unverständnis. «Ich verstehe ihre Sorgen. Ich habe erklärt, dass Richard mich stark macht, auch für den schwierigen Alltag.» 2009 haben sie geheiratet – hinter Gittern. «Das, was wir haben, damit bin ich zufrieden. Die Ehe mit diesem Mann macht mich innerlich satt. Sie ist das Beste, was mir passieren konnte.»
Und es gibt Hoffnung: Seit Kurzem werden in den USA lebenslange Haftstrafen für jugendliche Täter überprüft. Richard war 17, als er zum Mörder wurde, könnte vielleicht bald freikommen.
Unten: Das war das erste Foto, das Bianka von Richard aus der Haft bekam. Daneben das Hochzeitsbild des Brautpaares: Die Anwesenden waren Verwandte und Bekannte der beiden sowie der Pfarrer (g. l.). Das Paar darf sich pro Jahr an zehn Tagen jeweils sechs Stunden sehen.
Warum Frauen Verbrecher lieben
Es gibt viele Frauen, die – anders als Bianka – gezielt den Kontakt zu Häftlingen suchen. Einige tun das, weil sie sich als Retterin fühlen möchten. Als die Person, die für eine eventuelle Begnadigung des Mannes kämpfen kann. Sehr oft stammen diese Frauen aus zerrütteten Familien. Der Vater gewalttätig, die Mutter hilflos, können diese Frauen keine Nähe zu einem Mann zulassen. Sitzt er aber hinter Gittern, haben sie die Kontrolle. Er kann sie nicht verletzen. Gleichzeitig verlieren sie sich in der Fantasie einer grenzenlosen Liebe. Doch kommt der Mann frei, sind diese Ehen meist nach kurzer Zeit vorbei.