«Ich gönnte niemandem eine Schwangerschaft»

Die Familienplanung sah mindestens zwei Kinder vor. Doch das Schicksal machte ­Andrea und Patrick Keller aus dem Aargau einen Strich durch die Rechnung: Andrea bekam Brustkrebs. Sie wurde zwar ­Mutter, bezahlte aber einen hohen Preis!

Sie waren jung, frisch verheiratet und wollten mehrere Kinder. Doch bald wurde das Glück von Andrea (37) und Patrick Keller (40) getrübt. Andrea bemerkte einen Knoten in ihrer linken Brust. Die Frauenärztin beruhigte: Das sei hormonell bedingt. Sie sei schwanger oder bekomme die Periode. Kein Brustkrebs, nicht bei einer Frau von damals 27 Jahren. Der Schwangerschaftstest zu Hause bestätigte später: Sie war schwanger. «Wir waren überglücklich», erinnert sich Andrea Keller, «und der Knoten geriet in Vergessenheit.» Nach einiger Zeit meinte ihr Mann jedoch, der Knoten sei gewachsen. «Nach dem Untersuch kam die Ärztin ins Rudern.» Sofort überwies sie die in der 25. Woche Schwangere ins Kantonsspital Baden AG, um einen Brustultraschall zu machen. «Aus den besorgten Gesichtern der Ärzte konnte ich ablesen, dass etwas nicht stimmte», sagt die gelernte Pflegefachfrau. Die Biopsie bestätigte den Verdacht: Brustkrebs.

Die Spezialisten des Brustzentrums wollten den Tumor sofort entfernen und das Baby wenn nötig mit Kaiserschnitt auf die Welt holen. «Doch keiner konnte mir die Angst nehmen, dass eine Brustoperation in der 30. Schwangerschaftswoche das Kind unter meinem Herzen gefährden könnte.» Zum Schutz des Ungeborenen sagte sie einen Tag vor dem Operationstermin den Eingriff ab. «Es wäre viel zu früh zur Welt gekommen, und eine Chemotherapie mit einem Kind im Bauch kam nicht in Frage.»

In ihrer Not holte sie bei einer Ärztin eine zweite Meinung ein. Diese bestätigte die Diagnose, riet aber, in der 36. Woche die Geburt einzuleiten und danach mit der Krebstherapie zu beginnen. Das leuchtete Andrea Keller ein. Am 7. Juli 2008 war sie im Kantonsspital Baden. Das Baby müsse bis am 10. Juli da sein, eröffneten ihr die Ärzte, sonst gebe es einen Kaiserschnitt. «Bitte schenke deiner Mutter eine normale Geburt», bat Andrea Keller das Kind in ihrem Bauch. Und es erhörte den Wunsch: Livia kam am 10. Juli zur Welt. Am gleichen Tag wurde Andrea operiert.

In den darauffolgenden Tagen versagte ihr Kreislauf. «Um meine Tochter, die im Brutkasten lag, besuchen zu können, musste ich im Spitalbett zu ihr gebracht werden. Ich war so geschwächt.» Noch im Spital eröffneten ihr die Ärzte, leider müsse ihr nach der Chemo die Brust entfernt werden, da der Krebs weiter wuchere.

Im September 2009 eine weitere Hiobsbotschaft: Auch in der rechten Brust wucherten Tumorzellen; auch sie wurde amputiert. Da die Tumore aggressiv und hormongesteuert waren, mussten auch die Eierstöcke entfernt werden. Andrea war verzweifelt. «Patrick und ich wollten ja noch mehr Kinder.» Doch nun war dieser Traum geplatzt. «Frauen haben Jahre Zeit, sich an die Wechseljahre zu gewöhnen. Infolge der fehlenden Eierstöcke musste ich alle damit verbundenen Symptome in einem Monat verkraften.»

Die sonst so tapfere Frau fiel in eine tiefe Depression. «Ich wollte nicht mehr unter die Leute. Mit unserer Tochter Livia und unserem Hund Shelby ging ich nur noch raus, wenn hier in Rupperswil niemand unterwegs war.» Viele Frauen in ihrem Umfeld bekamen Babys. «Nur ich konnte keine mehr bekommen. Das zerriss mich. Ich gönnte niemandem eine Schwangerschaft», erzählt sie. «Heute schäme ich mich für meine damaligen Gedanken.» Andrea und Patrick wollten ihre Tochter nicht als Einzelkind aufwachsen lassen und nahmen 2012 ein Pflegekind auf. Es ist zwei Jahre jünger als Livia, und die beiden verstehen sich sehr gut.

Das Ehepaar lässt sich nicht unterkriegen. Ihre Kinder und ihre Hobbys geben den beiden Kraft. «Die Zeit meines Krebses hat uns viel Energie und Tränen gekostet und Ängste verursacht.» Aber es sei trotzdem nur ein Lebensabschnitt gewesen. Seit gut vier Jahren ist Andrea Keller gesund. «Zum Glück haben wir wieder ins normale Leben zurückgefunden.»