«Ich dachte nur an meinen kleinen Sohn»

Ein Brückenteufel schmiss eine Betonplatte auf den Transporter von Lidia. Wie durch ein Wunder wurde sie körperlich nicht verletzt, leidet aber seither unter einem Trauma.

Den Moment, als es ohren­betäubend laut krachte und alles um sie herum zu explodieren schien, bekommt Lidia S. (26) nicht aus dem Kopf. Immer wieder träumt sie von dem Horror, den sie auf der Autobahn erlebte, und immer wieder denkt sie: «Was wäre, wenn …»

Es war in den frühen Morgenstunden im April 2020, als sich die junge Mutter aus Hildesheim (D) in ihrem Auto auf den Weg gemacht hatte. Für die Spedition ihres Bruders in Hannover wollte sie die ersten Aufträge erledigen, und so fuhr sie auf die A44. Doch dieser Tag sollte ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen: Denn nur wenig später durchschlug mit voller Wucht eine 15 Kilo schwere Betonplatte die Windschutzscheibe rechts von ihr und knallte in den Fussraum. Lidia wurde durch die herumfliegenden Splitter leicht verletzt. Sie konnte den Wagen sogar noch zum Stehen bringen. Ein Wunder, dass sie nicht getroffen wurde!

Nachdem die Polizei mit Hochdruck und unter Auswertung von Handydaten ermittelt hatte, klickten die Handschellen: Alexander N. (21) gestand die Tat schliesslich. Das Motiv seines wahnsinnigen Tuns: Weil der Unternehmer-­Sohn aus gutem Hause sich schon früh mit einem Online-Handel verschuldet hatte und sogar schon wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde, wollte er grosse Konzerne wie Mercedes Benz um 250 000 Euro in Bitcoin erpressen. Dass er bei seinen insgesamt drei Taten, bei denen er Beton­platten und Steine von Autobahnbrücken fallen liess, jedes Mal Menschenleben aufs Spiel setzte, schien ihm egal − der Brückenteufel dachte nur an das viele Geld.

Sein Opfer Lidia kann das Horror-Erlebnis bis heute nicht richtig verarbeiten, sucht vergeblich einen Psychologen, der ihr helfen könnte: «Ich kann nur tagsüber fahren und beobachte jede Brücke und jeden Menschen, der auf der Brücke steht, ganz genau!», erzählte Lidia der Zeitschrift «Closer». Das Schlimmste für sie: Als die Platte ihren Transporter durchschlug, war die alleiner­ziehende Mutter in Gedanken nur bei ihrem geliebten Sohn (3). «Noch heute habe ich beim Schlafen Flashbacks. Ich habe dann vor Augen, dass mein Kleiner ohne Mutter und ohne Vater hätte aufwachsen müssen.»

Zwar hat ihr der Täter aus der U-Haft einen Brief geschrieben, in dem er sich entschuldigt und «froh» sei, dass sie körperlich unversehrt davongekommen sei. Doch die seelischen Wunden kann niemand so schnell heilen. Und als sie Alexander N. Anfang November schliesslich vor Gericht wiedersieht, kommen die schrecklichen Erlebnisse in ihr wieder hoch: «Ich hatte wieder dieses Gefühl, das ich damals hatte, als ich unterwegs war. Ich hatte im Kopf wieder dieses Knallen und die kaputte Scheibe. Dieses Loch im Wagen – ich hatte das Bild wieder vor meinen Augen.»

Die Anklage lautet auf versuchten Mord und besonders schwere räuberische Erpressung. Dem jungen Mann, der die Taten gestand, aber jede Tötungsabsicht abstritt, droht lebenslange Haft.