«Ich betrog meinen Mann, als er im Sterben lag»

Rebeccas Gatte war schwer dement und baute jeden Tag mehr ab. Mit seiner Pflege war sie ganz allein. In dieser Zeit begann sie eine Affäre, die sie nie bereut hat.

Rebecca de Saintonge (78) erinnert sich genau, wie sie ihren Ehemann kennenlernte. Sie war sofort fasziniert von seiner Stimme. «Und er strahlte eine ungeheure Energie aus», erzählt die Engländerin. Als sie Jack das erste Mal sah, war sie 32, er 21 Jahre älter. Sie trafen sich bei einem Anlass in der Kirchgemeinde und waren von da an unzertrennlich. 1979 heiratete das Paar. «Jack war der absolute Traummann. Er hatte nie schlechte Laune, und wir hatten einen grossen Freundeskreis.»

Acht Jahre später – Rebecca war 49 Jahre alt – kam dann die Wende. Jack wurde plötzlich ruhig und ängstlich. «Eines Tages stand er an einem Zebrastreifen – er war völlig verwirrt, wusste nicht, wie er die Strasse überqueren sollte.» Rebecca brachte ihn zum Arzt. «Was folgte, waren sechs Jahre, in denen ich ihn regelmässig ins Spital begleitete, wo viele Tests mit ihm gemacht wurden.» Man wollte herausfinden, ob er an Depressionen, Parkinson oder Alzheimer erkrankt war. In diesen Jahren wurde sein Gedächtnis schlechter und schlechter. «Es brach mir das Herz, mitansehen zu müssen, wie er nicht einmal mehr die Zeitung lesen konnte.»

Schliesslich kam heraus, dass er an einer seltenen Form von Demenz litt. «Sein Hirn und sein Körper werden ganz langsam abbauen», sagte der Arzt. Die beiden folgenden Jahre waren für Rebecca sehr schwer. «Ich musste ihn waschen, füttern, baden.» Sie trug ihn jeweils auch die Treppen ins Schlafzimmer hoch. Innert weniger Wochen verlor er seine Sprache, sagte kaum mehr etwas. Manchmal hatte Jack jedoch kurze klare Momente, in denen er Rebecca sagte, wie sehr er sie liebe. Doch sie vereinsamte nach und nach, weil sie sich nur noch um ihn kümmerte. «Ich vermisste Jacks warme Stimme und mit ihm zu reden.»

Dann kam ein Tag im November 1995, an dem sie Nick (54) erstmals traf. Sie, er und andere Mitglieder der Kirchgemeinde planten ein Fest.  «Nie zuvor hatte ich mich für einen anderen Mann interessiert», sagt Rebecca. Bei Nick war es anders. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen und sagte mit Freuden seiner Einladung zum Essen zu. Sie erzählte ihm von ihrer Ehe und von Jack. Vier Monate konnten sie einander widerstehen, danach begannen sie eine Affäre. «Ich hätte mich vielleicht schuldig fühlen sollen, aber als Nick mich in den Arm nahm, war ich glücklich wie seit Langem nicht mehr.» Sie fühlte sich nicht als Gattin eines sterbenden Mannes, sondern als begehrenswerte Frau. Sie war sich bewusst, dass sie ihren Mann betrog, als der sie am meisten brauchte. «Aber nur so konnte ich Jacks langsamen, schmerzhaften Tod verkraften.» Immer wenn sie ans Aufgeben dachte, gaben ihr die Gedanken an Nick Kraft.

Die Affäre dauerte mehr als ein Jahr. Dann die Tragödie: Jack stürzte 1996 daheim die Treppen hinunter und kam als Notfall ins Spital. Jeden Tag stand sie an seinem Krankenbett, ging abends nur heim um zu schlafen. «Nach sechs Tagen küsste ich Jack, bevor ich nach Hause fuhr, und sagte ihm zum Abschied: ‹Ich liebe dich.›» Es waren die letzten Worte, die sie an ihn richtete. In jener Nacht rief das Spital an und sagte, Jack sei gestorben.

Nach der Beerdigung im Oktober 1996 traf Rebecca sich zwar noch mit Nick. Doch der Liebeszauber war verflogen. «Ich hatte Nick gebraucht, da er mir Kraft gab. Doch mit Jacks Tod war auch die Liebe zu Nick erloschen.» Erstmals seit 17 Jahren war Rebecca komplett allein. Sie ging zurück an die Uni, um englische Geschichte und Philosophie zu studieren. Ihre seelischen Wunden heilten. Und dann, im Januar 2003, traf sie bei einer Dinnerparty den zehn Jahre jüngeren Robin, einen Musiker. Zwei Jahre später heirateten die beiden. «Nun sind 20 Jahre seit Jacks Tod vergangen, und ich bereue meine Affäre mit Nick keine Sekunde. Seine Liebe und Zuneigung halfen mir durch die schlimmste Zeit meines Lebens.» Sie liebe Jack noch und vermisse ihn jeden Tag. «Ich glaube aber, er wäre froh zu wissen, dass ich nach all dem Schmerz wieder glücklich geworden bin!»