«Ich bestahl meine Eltern, um meine Sucht zu finanzieren»

Ihr Alkoholkonsum stieg und stieg. Als die junge Frau auch noch arbeitslos wurde, trank sie noch mehr – und machte sich strafbar.

Seit sie denken kann, fühlte sich Leanne Stillings (32) minderwertig. «Während meine Klassenkameradinnen fröhlich waren und spielten, glaubte ich, dass ich nicht gut genug war», sagt die Engländerin. So geriet sie in die Alkoholsucht. «Mit 18 entdeckte ich in Bars süsse Alcopops. Sie schenkten mir Selbstvertrauen – ich traute mich auf einmal zu tanzen und zu flirten.» Als sie mit 23 einen Freund hatte, der eine Bar besass, ging es mit dem Alkohol erst so richtig los: Sie trank Wein, Wodka und Martinis. «Ich merkte, dass mir mein betrunkenes Ich sehr gut gefiel. Ich war selbstbewusst, lustig, und die Unsicherheit von früher war wie weggewischt.»

Nach zwei Jahren scheiterte die Beziehung, und Leanne kehrte zurück ins Elternhaus. Da wurde ihr erst bewusst, wie viel sie trank, meist nachts, damit niemand etwas bemerkte. Nach kurzer Zeit nahm sie einen Job in einer Bar an. «Das war für mich die perfekte Entschuldigung, um zu trinken.»

Wenn sie zurückblickt, ist sich die junge Frau sicher, dass ihr Umfeld gemerkt hat, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Mit den Eltern gab es regelmässig Streit wegen ihrer Alkoholsucht. Ihre Beziehungen zerbrachen, wenn die Männer erkannten, dass sie trank.

«Als ich 28 war, geschah etwas Schreckliches», erinnert sie sich. Sie fuhr betrunken Auto und wurde von der Polizei kontrolliert. Sie war viel zu schnell unterwegs und musste die Nacht in einer Ausnüchterungszelle verbringen. Tags darauf wurde ihr der Fahrausweis entzogen, und sie musste sechs Monate lang eine ambulante Entziehungskur machen. «Ich dachte, ich könnte nicht mehr tiefer fallen, doch in den folgenden beiden Jahren drehte sich die Abwärtsspirale immer schneller.» Als ihr Chef erfuhr, warum sie den Ausweis verloren hatte, feuerte er sie. Leanne Stillings trank nun schon am Morgen. «Weil ich arbeitslos war, ging mir bald das Geld aus. Meine Eltern waren natürlich nicht bereit, die Sucht zu finanzieren.»

Eines Tages entdeckte sie im Schlafzimmer ihres Vaters eine goldene Kette. Sie steckte sie ein und verhökerte sie im Pfandhaus.  «Doch das war erst der Anfang. Ich stahl auch die Computerspiele meiner Nichte und Geld von meinen Eltern.» Ihr Konsum stieg: «Ich hatte jeweils nicht einmal mehr einen Kater, weil ich die ganze Zeit betrunken war.» Ende 2015 wies sie sich für sechs Monate in eine Entzugsklinik ein. Sie sah ein, dass ihr Leben nicht so kummervoll sein musste und dass sie es selbst zerstörte.

Als sie die Klinik im Juli 2016 verliess, fühlte sie sich wie eine andere Person. Sie sah ein, dass ihr grosses Problem ihr mangelndes Selbstbewusstsein war, und sie lernte, sich selbst zu akzeptieren. Sie war überzeugt, dass
sie fortan ohne Alkohol leben konnte.

Leanne Stillings wagte einen Neuanfang, zog in eine andere Wohnung. Sie hat einen Job als Sozialhelferin gefunden und arbeitet mit obdachlosen Jugendlichen. «Täglich versuche ich, etwas für andere zu tun, ich spendiere jemandem einen Kaffee oder bin für eine Freundin da. Jeden Abend schreibe ich auf, was mir alles Gutes widerfahren ist und wofür ich dankbar bin.» Sie sei nicht mehr die Person, die sie einmal war. «Diese Frau war nicht komplett ohne Alkohol. Ich fühle mich jetzt endlich vollkommen. Und ich bin glücklich.»