Hochzeit mit dem Freund – auch wenn er ein Pflegefall ist

Larissa und Ian waren Anfang ­20 und schwer verliebt, als ein grausamer ­Unfall ihr Glück zerstörte. Ian lag lange im Koma, ist seitdem schwer behindert. Da traf Larissa eine folgenreiche Entscheidung.

Fast glaube ich, mich nicht mehr an ihn zu erinnern. Ich weiss nicht mehr. Ich weiss nicht mehr, wie sein Lachen klang, sehe seinen Gang nicht mehr vor mir. Die Erinnerungen, die mir helfen sollen, weiterzumachen, sind verschwunden. Habe ich ihn wirklich vergessen?» Diese berührenden Zeilen schrieb Larissa Murphy (29) in ihren dunkelsten Stunden über ihren Ehemann, der heute nicht mehr derselbe ist.

Rückblick: 2005 lernte die damals 19-Jährige  den gleichaltrigen Ian (heute 29) aus Pennsylvania (USA) kennen. Sie verliebten sich, wollten heiraten. Die Zukunft lag vor ihnen. Bis zum 30. September 2006. An dem Tag krachte Ian mit seinem Auto gegen einen Geländewagen.

Er überlebte, hatte aber ein schweres Gehirntrauma. Zwei Jahre lag der Student im Koma. Larissa wich nicht von seiner Seite. Als er endlich erwachte, war klar: Der 21-Jährige war ein Pflegefall. Die junge Frau stand unter Schock. Doch sie wollte für ihn da sein, 1zog zu ihm und seiner Familie. «Auf keinen Fall wollte ich einfach so gehen», sagt Larissa. Obwohl von dem sportlichen und schlagfertigen jungen Mann, in den sie sich einst verliebte, nicht mehr viel geblieben war. Er sass im Rollstuhl.  Jeden Tag sass sie an seinem Bett, redete mit ihm und betete für sein Leben. Wie durch ein Wunder begann er irgendwann, mit ihr zu kommunizieren. Seine Herzfrequenz erhöhte sich, wenn Larissa mit ihm redete, er folgte ihr mit den Augen.

Dann traf die Familie der nächste Schicksalsschlag. Ians Vater hatte einen Hirntumor, ihm blieben nur wenige Monate. Vor dem Tod bat er die Freundin seines Sohnes: Sie solle die Beziehung beenden – oder Ian heiraten. Larissa zögerte nicht lange. «Die Entscheidung war schwer und leicht zugleich.» Einen Ehemann zu haben, den sie nie allein lassen kann. Der gefüttert und gewaschen werden muss.

Doch es war nicht Larissa, die Ian den Antrag machte. Im Kreise der Familie fragte er sie, ob sie ihn heiraten wolle. Und Larissa sagte Ja. Ian glaubt, dass er Larissa genug geben kann, um die Schwierigkeiten aufzuwiegen. «Jeder, der uns versteht, sollte nur einen Tag in meinem Leben verbringen, dann würde er wissen, dass ich Larissa über alles liebe.» Im August 2010, vier Jahre nach dem Unfall, heiratete das Paar im familiären Rahmen. Zu diesem Zeitpunkt konnte Ian erste Schritte gehen, sogar einen kleinen Hochzeitstanz mit seiner Frau machen.

«Es war der schönste Augenblick meines Lebens», erinnert sich Larissa. Seitdem geniesst das Paar sein Eheleben, sie sind zusammen in eine Wohnung gezogen. Der Alltag hat sich eingespielt. Auch wenn Ian sich nach wie vor nur schwer artikulieren kann, zeigt er Larissa täglich seine Liebe. «Und er bringt mich ständig zum Lachen», erzählt Larissa. «Es gibt nichts, was ich an ihm nicht mag.» Auch Kinder sind für sie eine Option. «Es gibt keinen Grund, warum das nicht möglich sein sollte», sagt Larissa.

Woher nimmt sie so viel Kraft? Es ist eine Hoffnung, die sie nicht verzweifeln lässt. Irgendwo in dem versehrten Körper steckt immer noch «ihr» Ian, den Mann, den sie zutiefst liebt und mit dem sie bis ans Lebensende zusammenbleiben will.

Während der Hochzeit konnte sich Ian wenige Augenblicke lang vom Rollstuhl erheben und tanzen. Buchtipp: Ian und Larissa Murphy: «Ich bleibe an deiner Seite», Gerth Medien GmbH, Fr. 20.90

Während der Hochzeit konnte sich Ian wenige Augenblicke lang vom Rollstuhl erheben und tanzen. Buchtipp: Ian und Larissa Murphy: «Ich bleibe an deiner Seite», Gerth Medien GmbH, Fr. 20.90