Hoch verschuldet wegen blinder Liebe

Eine Verkäuferin aus Berlin ging einem ­angeblichen US-­Soldaten auf den «Liebes-­Leim». Er habe ihr Leben ruiniert, sagt sie wütend.

Dajana S. (48) weiss genau, wann sie die Kontrolle verlor – bei einem Chat im Juli 2021. Die Verkäuferin aus Berlin schreibt über Instagram ihrem Flirt, einem Mann, der vielleicht ihre grosse Liebe werden könnte. Er nennt sich «Morrisson King», angeblich aus Florida. Soldat der US-Marine, stationiert in Syrien. Mit jedem Chat vertraut sie ihm mehr – und er wird zu dem Mann, der sie ruiniert.

Sie tippen sich gegenseitig ihr Leben ins Handy: Dajana S. ist alleinerziehend. Er auch. Sie hat eine kleine Tochter. Er scheinbar auch. Sie hat vor einem Jahr ihren Vater verloren. Und er gerade seinen besten Freund bei einem Einsatz − offenbar erschossen. «Ich glaube, da hat er mich gekriegt», erinnert sich Dajana S. «Das mit der Trauer. Ab da war ich völlig benebelt. Er konnte mich immer mehr einlullen.»

Was «Morrisson King» macht, tut er beruflich: Er ist ein sogenannter «Love Scammer», ein Heiratsschwindler des 21. Jahrhunderts. Er klaut Profilfotos unbescholtener Bürger aus dem Internet, bastelt sich ein Konto und erfindet einen Namen. Er schreibt Frauen über Instagram an, gewinnt ihr Vertrauen. Und dann verschickt er ihnen ein Paket mit wertvoller Fracht − für das die Frauen zwei-, dreimal horrende Gebühren zahlen müssen.

Das Geld fliesst über auslän­dische Banken oder Bitcoin direkt in die Taschen der Betrüger − in diesem Fall eine Bande aus Afrika, so der Zoll. An Dajana S. schickte «Morrisson King» vorgeblich Diamanten − eingenäht in ein Plüschtier. «Dazu wichtige Papiere und Bargeld», erzählt sie. Er sagte, er brauche das für seine Zeit nach der Marine. Für seine Zukunft, vielleicht mit ihr. Sie solle das Paket annehmen. Dajana S. sagt Ja und schreibt ihm ihre Adresse. «Ich habe dann eine Sendungsverfolgung einer Firma CTX bekommen. Alles sah sehr realistisch aus.» Doch das Paket, das es nie gab, bleibt anscheinend hängen − erst in der Türkei. «Es hiess, das Paket müsse versichert werden.» Für 2800 Euro. Wieder zahlt sie. «Zwei Tage später hing das Paket in Polen. CTX meinte, Zollsteuern seien dafür fällig: 9800 Euro.» Auch dafür blättert Dajana S. hin − in Bitcoin. Nimmt dafür 6000 Euro Kredit auf. «Er hat mich dermassen unter Druck gesetzt. Ich hatte Angst, für Diamantenschmuggel verantwortlich zu sein.» Nach einigen Tagen kommt wieder eine E-Mail von CTX. Das Paket sei im Lager des Hauptzollamts in Garching bei München. «Ich sollte wieder 9800 Euro Zollsteuer zahlen.»

Dajana S. googelt «Zoll», «München» und «Paket» − und stösst auf eine Website von Thomas Meister, Sprecher des Hauptzollamts. Der warnt im Netz vor der Paket-Masche. Dajana S. ruft ihn sofort an − und fällt aus allen Wolken. Zu «Bild am Sonntag» sagt Meister: «Ich habe schon länger mit Liebesbetrügern zu tun − aber derzeit ist es brutal. In acht Wochen riefen 70 Menschen bei mir deshalb an. Zu 95 Prozent Frauen, von der Verkäuferin bis zur Ärztin.» Es ist immer die gleiche Masche: Flirt, Paket, Geld weg. «Einige zahlten 200 oder 300 Euro. Andere bis zu 40 000 Euro», erklärt Meister und stellt klar: «Natürlich verlangt der deutsche Zoll auch Gebühren. Aber nie auf eine inländische oder aus­ländische Bank. Oder in Kryptowährungen. Immer über die Bundeskasse.»

Dajana S. zahlt nicht mehr, ihr Albtraum ist aber nicht vorbei. «Er hat bis zum Letzten noch Geld verlangt. Er drohte sogar, dass er mir die Taliban nach Hause schicken würde.» Sie hat Angst, bleibt aber stark und ändert ihre Nummer. Dajana S.: «Ich habe viel geweint danach und mich sehr über mich geärgert.» Sie weiss: «Er hat mein Leben ruiniert.» Und gibt doch sich die Schuld dafür. «Es war zu 90 Prozent aus Mitleid.»

Jetzt stottert sie mit Hilfe ihrer erwachsenen Kinder den Kredit ab und holt sich die Kontrolle über ihr Leben zurück.