Helfen bis zum Umfallen

Es war als einmalige Sache geplant: Der Berner Michael Grossenbacher brachte dringend benötigte Sachen in die griechischen Flüchtlingscamps. Doch dann zog es ihm den Ärmel rein – mit ungeahnten Folgen.

Die Flüchtlingskrise in Griechenland war 2015 auf ihrem Höhepunkt. Comedian und Journalist Michael Grossenbacher (46) wollte nach Jahren auf der Bühne eine kreative Pause einlegen. Und entschied, die Zeit für etwas Gutes zu nutzen. «Ich bin in einem Pfarrhaus aufgewachsen, lernte, bei Elend nicht wegzuschauen, sondern Hand zu bieten», sagt er zur GlücksPost. Der Berner sammelte Brauchbares für die Gestrandeten und fuhr die Sachen in den Süden. Das hätte das Ende der Geschichte sein können.Doch wieder daheim, wollte Grosi, wie ihn die meisten nennen, sofort zurück und weiter anpacken: «Wenn du das mal gesehen hast, lässt es dir keine Ruhe. Ich konnte nicht anders.» Bald gestand er seiner Frau und seinem Sohn (12), was in ihm vorging. Sie hatten es geahnt und liessen ihn ziehen. «Das Elend war so unglaublich. Und wenn wir Freiwillige nicht gehandelt hätten, hätte es niemand getan.» Auf der Insel Lesbos zogen die Helfer tausende Flüchtlinge an Land.

Später, im herrschenden Chaos von Idomeni im Landesinnern, versuchten sie, Nahrung und Medizin aufzutreiben. Doch es war nie genug für alle. «Da bist du plötzlich derjenige, der über Hunger oder Sattsein entscheidet. Diese Rolle war unerträglich.»Den Hilfsbedürftigen zeigte Grosi seine Emotionen nie: «Ich fand das verwegen, bei all dem, was sie erlebt hatten.» Der Gegensatz konnte nicht krasser sein: «Ich kam nach 20 Jahren von der Bühne runter, aus meiner Bling-Bling-Welt.

Für diese Leute war ich kein Promi, sondern einfach ein Mensch. Das machte mich sehr demütig.» Während der Einsätze in Griechenland, auf dem Balkan und in der Türkei gründete er 2016 mit seiner Kollegin Bettina Konetschnig in der Schweiz die NGO «The Voice of Thousands». «Wir konzentrierten uns auf medizinische Hilfe bei Einzelfällen. Sorgten dafür, dass schwer verwundete oder kranke Kinder in einem Spital in Mitteleuropa behandelt wurden.»

Die fünf Jahre Kampf gegen das Leid hatten Folgen: Grosi ist am Ende seiner Kräfte. «Ich habe stets nebenbei gearbeitet – für die freiwillige Hilfe erhielt ich keinen Rappen. Trotzdem musste ich rund um die Uhr zur Verfügung stehen.» Das Schlimmste sei die Bürokratie gewesen; Bewilligungen einholen, Visa beschaffen: «Wir versuchten lange, ein Mädchen mit Herzfehler aus einem Camp zur Behandlung in ein Spital zu bringen. Plötzlich hiess es, sie sei jetzt am Flughafen Istanbul. Ich musste sie am selben Tag abholen, sonst wäre sie gestorben.»

All die schrecklichen Geschichten kann er nicht mehr hören: «Das ist so schlimm, da musst du wortwörtlich kotzen. Es wurde mir alles zu viel. Ich hatte kein Privatleben mehr, war psychisch und physisch längst über dem Limit.» Dennoch dauerte es lange, bis er sich gestattete, eine Pause einzulegen. «Und mir zugestand, mein Leben hier geniessen zu dürfen.» Seiner Kollegin von «The Voice of Thousands» geht es ähnlich. Die beiden suchen nun nach Nachfolgern für ihre NGO. Wenn sich niemand findet, machen sie dicht.

Von Grossenbacher und anderen freiwilligen Schweizer Flüchtlingshelfern erzählt der Film «Volunteer» (ab 3.9. im Kino). «Ich werde ihn mir nicht mehr anschauen. Ich habe das Ganze einigermassen überwunden, es würde mich nur wieder reinziehen.»