Ein Pony holte sie aus ihren Abgründen

Ihr ganzes Leben litt Joanna Corfield an Essstörungen, die mit ihrem mangelnden Selbstwertgefühl zusammenhingen. Erst die Begegnung mit einem Pony heilte sie.

Wenn man Joanna Corfield auf der Weide mit ihren Ponys beobachtet, sieht man eine glückliche, in sich ruhende Frau. Doch das war nicht immer so: Joannas Familie war sehr auf äusseres Ansehen, Erfolg und gutes Benehmen bedacht. «Ich spürte stets den Druck, dass ich die in mich gesteckten Erwartungen nicht erfülle», sagt die heute 60-Jährige.

Als Kind war Joanna burschikos – auch körperlich. Ihre Schulkameraden nannten sie Jumbo Jo. «Das traf mich im Innersten.» Alleine und unglücklich im Internat, wurden Gewicht und Essen zur Obsession. «Niemand schaute, ob man etwas zu sich nahm.» Wenn andere Mädchen nun bewundernd sagten, sie sei «so dünn», fühlte sich Joanna endlich gut.

Als ihren Eltern die schockierende Entwicklung ihrer Tochter auffiel, wiesen sie sie in psychiatrische Kliniken ein – damals Irrenhäuser genannt. Eine Besserung trat nie ein. Eines hatte die verstörte Jugendliche allerdings gelernt: Nahrung zu sich zu nehmen, wenn jemand zusah – und sie nachher heimlich zu erbrechen.

Nach der Schule war Joannas Leben unstet: Sie wechselte unablässig die Jobs. Mit 26 heiratete sie einen 20 Jahre älteren Mann, den sie nicht liebte. Das Paar bekam einen Sohn. «Ich war immer noch so ängstlich und unglücklich, fühlte mich unzureichend in allem, was ich tat», erinnert sie sich.

Eines Tages bat ihr Sohn sie, ein herrenloses Pony aufzunehmen. Joanna war einverstanden, holte sogar eine Gefährtin für das Tier zu sich: Bronwen, eine Stute. «Schon das Pony Gus mochte mich nicht. Aber Bronwen hatte Horror vor mir. Ich wusste von ihren Vorbesitzern, dass sie ein liebevolles Gemüt hat. Das Problem war also – wieder – ich.»

Diesmal gab Joanna nicht auf. Sie holte sich die Hilfe eines Pferdeflüsterers. Als die geplagte Frau die innige Begegnung des Mannes mit Bronwen sah, ging ihr ein Licht auf: «Plötzlich war mir klar, wie Bronwen mich sah: Sie spiegelte mich, meine Körpersprache, meine schädlichen Ansichten und meinen Selbsthass.»

Überzeugt, dass ihre Ängste die Stimmung des Ponys beeinflussten, begann Joanna, sich zum ersten Mal in ihrem Leben um ihren Körper zu kümmern. Bronwen belohnte ihre Anstrengungen mit beschützender Zuneigung. «Das Gefühl, als sie ihren Kopf erstmals liebevoll an mich drückte – nachdem ich endlich meine Ängste hatte gehen lassen –, war so unglaublich erfüllend.»

Die Ess-Brechsucht wurde immer weniger dominant. «Irgendwann merkte ich, dass ich das nicht mehr brauche. Ich wollte mich gut fühlen und der zufriedenen Frau, die in mir versteckt war, Raum geben.» Bald war Joanna zudem bereit, auch anderen mit ihren Ängsten und mentalen Problemen zu helfen. Sie bildete sich in verschiedenen therapeutischen Bereichen weiter, wurde eine Pionierin im Bereich der Pferdetherapie. Heute lebt sie mit einer Herde Ponys an der Ostküste von England. Über 100 Menschen haben durch Joannas Tiere Glück und Heilung gefunden.