«Du musst leben, mein Junge»

Obwohl der Täter unter Aufsicht stand, vergewaltigte er Schüler Florian. Die Mutter des Opfers ist fassungslos.

Von Jens Schwarck

Als der Richter immer wieder nachfragt, wie das mit der Führungsaufsicht für Oliver B. (43) genau ablief, ist die Bewährungshelferin irgendwann ratlos. «Ich konnte ja nicht jeden Tag da sein», sagt sie schliesslich. Aber besser wäre es gewesen! Denn Oliver B. nutzte seine Freiheit, um Florian W. (14) aus Remscheid (D) in seine Laube zu locken, zu missbrauchen und zu vergewaltigen.

Niemand stoppte ihn. Obwohl Oliver B. bereits 2005 wegen schweren sexuellen Missbrauchs an Kindern zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Und 2013 noch mal zu vier Jahren Gefängnis. Obwohl er unter Führungsaufsicht gestellt wurde und dagegen verstiess. Wieder verurteilt wurde, auf Bewährung frei blieb. Betreut wohnte. Und einfach weitermachte.

Es ist ein Fall, bei dem man sich pausenlos fragt: Wie kann das nur sein?

Kürzlich stand Oliver B. vor dem Landgericht Wuppertal. Der gelernte Landschaftsgärtner hatte Andrea W. (51) im Frühjahr geholfen, einen umgestürzten Baum zu entsorgen. Dann fragte er ihren Sohn Florian, ob er ihm helfen könne, das Holz in eine Gartenanlage zu bringen. Dort hatte Oliver B. eine Laube gemietet und dem Verwalter erzählt, er sei ein Streetworker des Jugendamts, der dort mit auffälligen Jugendlichen arbeite.

Welch eine perverse Lüge! In der Gartenhütte fiel Oliver B. über den 14-Jährigen her, verging sich an ihm – und stürzte ihn in einen seelischen Abgrund. Denn Florian traute sich aus Scham nicht, seiner Mutter von der Tat zu berichten. Der Schüler sah keinen Ausweg mehr und versuchte, mit Tabletten Suizid zu verüben. Er wurde gerettet und kam in eine Klinik. Erst dort erzählte er von der Vergewaltigung.

Als das Verbrechen jetzt vor Gericht verhandelt wird, sagt auch eine Bewährungshelferin aus, die für Oliver B. zuständig war, seine Führungsaufsicht überwachte. B. musste sich einmal im Monat melden, sich von Kindern fernhalten, Schulen oder Spielplätze meiden, eine Therapie absolvieren.

Tatsächlich wurde schnell klar, dass sich B. nicht an die Auflagen hielt. Der Richter: «Es gab Verstösse in massiver Form. Haben Sie das thematisiert?» Die Bewährungshelferin: «Wir haben sehr häufig über Treffen mit Jugendlichen gesprochen. Er sagte, er will den Jugendlichen helfen. Uns war die Laube suspekt. Ich wurde immer wieder hellhörig und habe ihm gesagt: ‹Halte die Finger still!›»

Jeder Verstoss gegen Auflagen sei der Polizei gemeldet worden, die B. immer wieder ins Gewissen geredet habe. Sonst geschah nichts. Die Bewährungshelferin sagt: «Es hat leider nicht geklappt, ihn zu unterstützen.» Sie meint den Täter, nicht das Opfer. Und die Sexualtherapie? Die Bewährungshelferin weiter: «Die Erkenntnis ‹Da mach ich etwas falsch› ist nicht rübergekommen. Er dachte, er geht dahin und dann sind die ruhig.» Stimmt!

Die Mutter des Opfers ist fassungslos. Andrea W. sagte zu «Bild am Sonntag»: «Hätte man früher gehandelt, wäre meinem Kind dieses Martyrium erspart geblieben.» Das Landgericht Wuppertal verurteilte B. zu vier Jahren und sechs Monaten Haft. Er wird sofort in
einer psychiatrischen Anstalt untergebracht – und therapiert. Für sein Opfer gibt es auf absehbare Zeit keine Hilfe.

Andrea W.: «Wir erfahren demnächst, welche Therapien möglich sind. Dann müssen wir eine geeignete Klinik finden.» Das kann Monate dauern. Doch die Mutter gibt nicht auf: «Wir müssen uns zurück ins Leben kämpfen.» Dann schaut sie Florian an und sagt:
«Du musst leben, mein Junge!»