«Die Familie steht ganz hinter mir – auch wenn sie es schwer mit mir hatte»

Betrunken stürzte Tobi mit seinem Velo die Treppe hinunter – ein Tiefpunkt in seiner Drogenkarriere. Er will weg davon und erhält Hilfe durch die Sozialwerke Pfarrer Sieber.

Ich kann es nicht genug erwähnen: Es war ein Fehler!» Im Gespräch, das im Aufenthaltsraum der Pflegestation des Sunne-Egge in Egg ZH stattfindet, sagt Tobi (30) dies immer wieder. In der Pflegestation der Sozialwerke Pfarrer Sieber finden Menschen wie Tobi Platz und die nötige Zuwendung und Begleitung. Mit «dem grossen Fehler», den Tobi immer erwähnt, meint er den Moment, als er es schon geschafft zu haben glaubte. Als er wieder zurückkehrte nach Luzern, der Stadt seiner Drogenkarriere, die schon in ganz jungen Jahren begann. Er formuliert sorgfältig, gewählt. Kein Wort scheint zufällig über seine Lippen zu kommen. Dennoch werde er nicht von allen gut verstanden, erklärt er. Bei einem schlimmen Velounfall vor gut zwei Jahren verlor er zwei Schneidezähne, das hindert ihn am klaren Artikulieren.

Ja, der Velounfall. Was passiert ist, weiss er nur, weil es ihm sein Vater erzählte: Betrunken sei er mit dem Velo eine Treppe hinuntergestürzt. Er erinnert sich noch an die Sirene, sonst nichts. Auf ein langes Koma folgte ein Rehabilitationsaufenthalt in Bellikon AG. Seine Unruhe während des Komas habe die Ärzte auf die vorliegende Drogenproblematik aufmerksam gemacht, sagt Tobi. In der Rehaklinik begann er, sich mit den Angeboten der Sozialwerke Pfarrer Sieber auseinanderzusetzen. Es folgte eine Therapie. «Ich weiss, wer Pfarrer Sieber ist», sagt er. «Ich würde ihn auf der Strasse sofort erkennen. Und ich weiss, wofür Pfarrer Sieber einsteht.» Getroffen habe er ihn leider noch nie. Dass Ernst Sieber Pfarrer sei, sei für ihn nicht wichtig. Es komme regelmässig ein Pfarrer für Gespräche in die Pflegestation nach Egg. Er habe auch schon mit ihm gesprochen. Aber mit Religion hat der junge Mann wenig am Hut. «Wenn aber Pfarrer wie Ernst Sieber nicht nur reden, sondern handeln, imponiert mir das.»

Nun lebt Tobi schon über ein Jahr in der Pflegestation des SWS-Spitals Sune-Egge. Seine Drogenkarriere hat früh begonnen, in Luzern, wo er aufgewachsen ist. Mit 17 war er zum ersten Mal in einer Therapie. Er sei noch zu jung gewesen. Er hätte es nicht verstanden, noch nicht. Als Gegenüber spürt man, dass sich Tobi heute viel überlegt und darüber nachdenkt, was er im Leben möchte und was nicht. «Ich will von den Drogen loskommen.» Das hat absolute Priorität. Aber: «Die Sucht ist stark und einfach da.» Tobi tippt mit den drei mittleren Fingern der rechten Hand an die Stirn.

Tobi ist ein Stadtmensch. Daher kann er der Ruhe und der Natur in Egg nicht viel abgewinnen. Dennoch weiss er um die Vorteile des Orts. Es ist für ihn wichtig, weit weg von allem zu sein. Weit weg auch von alten Mustern. «Und hier in der Pflegestation hat es gute Menschen, die mir helfen, das zu erreichen.» Er müsse lernen, um Hilfe zu bitten. «Wenn es mich überrennt, dann ist es gut, dies auch jemandem sagen zu können. Man hat immer das Reissen, wenn man einmal süchtig gewesen ist.»

Die Familie, so betont er immer wieder, sei gut für ihn, stehe für ihn ein: «Ich habe es ihr nicht einfach gemacht, und trotzdem steht sie hinter mir.» Zu seiner Familie gehören sein Vater und zwei Geschwister. Die Mutter ist vor einigen Jahren gestorben. Auch sie kannte es, Drogen ausgeliefert zu sein. Immer und immer wieder kommt Tobi auf «den grössten Fehler» zurück. Nicht, dass er in den Drogensumpf geriet, bezeichnet er als solchen, sondern, dass er dorthin zurückgekehrt sei. Dank seiner Familie und den Mitarbeitern im Sune-Egge hat er zumindest erfahren, dass ein Fehler nicht das Aus ist, sondern ein Mahnmal und auch der Start für einen Neuanfang sein kann. Ein Neuanfang, es immer wieder ernsthaft zu versuchen, der Versuchung zu neuen Fehlern zu widerstehen. Tobi ist ein Mensch, der einem in kürzester Zeit ans Herz wachsen kann.

Der junge Mann bewohnt in der Pflegestation eines der Einzelzimmer. Es ist spartanisch eingerichtet, hat aber alles, was er braucht. Er schätzt es, dass er einen Schlüssel hat, sein Zimmer abschliessen und für sich sein kann. Zu einer Zigarette setzt er sich gerne in den überdachten Eingangsbereich. Von den vielfältigen Angeboten in der Pflegestation macht Tobi wenig Gebrauch. Er, der einmal eine Kochlehre begonnen hatte, zeigt die Küche, wo Bewohnerinnen und Bewohner auch selber für sich kochen können. Im Atelier meint er leicht resigniert, dass keines der Bilder- und Werkstücke, die hier zu sehen sind, von ihm stamme. Dann setzt er sich auf den Fahrrad-Ergometer im Fitnessraum – um jedoch gleich zu erklären, dass er den auf ganz leicht eingestellt habe und selten trainiere. Die Sucht lähmt seinen Antrieb und seinen Durchhaltewillen. Viel Zeit verbringt Tobi im Fernsehzimmer. Dass er nicht oft die Energie hat, sich aktiv zu betätigen, hat auch mit den Kopfschmerzen zu tun, die ihn oft plagen. Er ist froh, wenn hier niemand zu viel von ihm will. Wenn er seine Ämtli erledigt hat, dann hat er seine Ruhe – die er sich dereinst in seiner eigenen Wohnung wünscht. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Tobi weiss es. Sein Wille, es zu erreichen, wird aber immer etwas stärker. Tobis Hoffnung lebt.

«Schaff es Dihei»

Die Sozialwerke Pfarrer Sieber (SWS) bieten suchtkranken, obdachlosen, psychisch und physisch leidenden, vereinsamten und mittellosen Menschen soziale, medizinische, materielle und seelsorgerliche Hilfe an. Dazu gehören die Schaffung von Einrichtungen, die Durchführung wie auch die Unterstützung von Projekten, die es Betroffenen ermöglichen, menschenwürdig zu leben und sich selbst als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft zu erfahren. Die SWS sind mit Einrichtungen in Stadt und Kanton Zürich präsent und betreuen Menschen aus der ganzen Schweiz. Bitte helfen Sie uns mit Ihrer Spende, dass wir Not-leidenden hierzulande helfen können.

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