Der Rollstuhl ist kein Handicap
Seit er 16 Jahre alt ist, sitzt er im Rollstuhl. Doch das hält Ralf Bockstedte nicht davon ab, ein Leben ohne Limit zu führen.
Seit er ein Kind war, wollte er bei Schalke 04 spielen, dem legendären Klub der Region Essen (D), wo er aufgewachsen ist. Schon als Kleinkind hatten die Ärzte bei Ralf Bockstedte (47) eine seltene, namenlose Krankheit
diagnostiziert: Sein Rückenmark wuchs nicht so schnell wie der Rest des Körpers. Als er 16 Jahre alt war und auf dem Weg in den Profi-Fussball, riss sein Rückenmark. Seither sitzt er im Rollstuhl.
Rollend machte er seine Ausbildung zum Anwalt. Heute betreibt der Vater einer neunjährigen Tochter in Essen eine Kanzlei und ist auf Sportrecht spezialisiert. Seinen Fussball-Traum hat er nie begraben: 2008 gründete er zusammen mit Schalke-Legende Ingo Anderbrügge die Agentur «Players’ Interests», die Fussballspieler in den internationalen Topligen betreut, managt und vermittelt sowie Sportmarketing und -sponsoring für diverse Sportarten betreibt.
2011 erhielt Bockstedte als erster und bisher einziger Rollstuhlfahrer der Welt die Fussballtrainer-Lizenz. «Jetzt lebe ich, was ich als Profispieler nicht erreichen konnte», schwärmt er. «Ich habe meine Leidenschaft zum Beruf gemacht – es gibt nichts Schöneres.»
Durch die Fussballkollegen ist er auf eine weitere grosse Passion gestossen: Golf. «Ich habe meine Freunde lange begleitet, sass aber einfach daneben im Golfkart. Irgendwann fanden die: ‹Mensch, Ralli, wenn du das so gut findest, warum spielst du nicht selber?›» Gesagt, getan: Die Kollegen organisierten ihm einen Golfrollstuhl. Bockstedte begeistert an Golf die Inklusion, also die Zugehörigkeit: «Es gibt keine andere Sportart, bei der Behinderte mit Nichtbehinderten so gleichberechtigt und auf Augenhöhe zusammenspielen.»
Auch dem Golfsport widmet er sich voller Energie. Er ist Vorstandsvorsitzender in diversen deutschen und internationalen Golf-Verbänden, will erreichen, dass die Disziplin Teil der Paralympics wird. Seine Leidenschaft für Sport teilt er mit seiner Schweizer Lebensgefährtin Rita (51). «Wir sind sehr glücklich», schwärmt er. Sie begleitet ihn auch an Fussballspiele und nimmt an all den Veranstaltungen teil, die Bockstedtes Agenda bis zum Rand füllen.
Momentan fokussiert er sich zusätzlich auf eine Laufbahn in der Politik. Er berät die CDU bereits in Sachen Sport. Doch sein Ziel ist es, Bundestagsabgeordneter zu werden. Die CDU kann den charismatischen Mann brauchen. Er ist, wie er selber sagt, ein «Vorzeigebehinderter». Das bedeutet unter anderem, dass er die Gabe hat, anderen die Scheu vor dem Umgang mit ihm als behindertem Menschen zu nehmen. «Gerade weil ich das kann, bin ich bestrebt, gesellschaftspolitisch etwas zu verändern, die Barrieren im Kopf abzubauen – im Umgang mit Behinderten, aber auch bei Behinderten selber.» Man könne nicht ein Leben lang mit seinem Schicksal hadern. «Vielleicht wäre ich ohne meine Behinderung ein total abgehobener, arroganter Typ geworden. So aber habe ich gelernt, dass es im Leben um Menschlichkeit geht, nicht nur um Geld oder Macht.»