Den Traummann gab es gar nicht

Dagmar fiel auf einen Liebesbetrüger herein. Als sie sein falsches Spiel durchschaute, hatte sie schon viel Geld verloren.

Es sind nur drei geschriebene Worte, die das Leben von Dagmar (68) radikal verändern. Im Sommer 2015 bekommt die gelernte Fotografin aus Rheinland-Pfalz (D) auf einer Dating-Webseite eine Nachricht von dem amerikanischen Offizier Jude Ford aus Kabul: «I like you!»

Die dreifache Mutter hat gerade erst ihren Mann verloren – nach 32 Jahren Ehe. Sie ist dankbar für Abwechslung und schreibt zurück. Ihr Englisch ist ausreichend. Jude antwortet sofort und gesteht ihr, dass er sich ein bisschen in ihre Fotos verliebt habe. «Er meinte, dass er meine lachenden Augen mag», erinnert sie sich und ist gerührt. Es ist lang her, dass ihr jemand Komplimente gemacht hat.

Der attraktive Mann schreibt in den kommenden Wochen ständig E-Mails und vertraut ihr sein Leben an, und das ist voller Dramatik. Er studiert Medizin, geht zur Armee. Dann erlebt er brutale Schicksalsschläge. Seine Eltern kommen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Seine erste Frau verliert er bei einem Autounfall, seine zweite durch Krebs.

Mit jeder E-Mail verliebt sich Dagmar mehr in den smarten Arzt und Offizier. Aber meint er es denn auch ernst mit ihr? Sie ist acht Jahre älter und hat nur eine kleine Rente. «Ich habe mit offenen Karten gespielt», erzählt Dagmar. «Er hat ganz süss reagiert, gemeint, dass Alter und Vermögen keine Rolle spielen, wenn man sich liebt.» Und Jude malt ihr eine gemeinsame Zukunft in Deutschland aus, in leuchtenden Farben.

Dagmar kann so viel Glück kaum fassen. «Ich bin mit seinen E-Mails und WhatsApp-Nachrichten aufgewacht und eingeschlafen, herrlich», so Dagmar. Nach sieben Monaten will Jude seine Traumfrau endlich in die Arme schliessen. Geld spielt keine Rolle, denn er hat aus Dankbarkeit für eine gelungene Operation von einem Afghanen ein Millionenvermögen in bar bekommen. Das Geld steckt in einem Koffer und den bringt bald ein befreundeter Diplomat mit nach Frankfurt. Dagmar soll die vielen Dollarscheine am Flughafen in Empfang nehmen. Es ist ja ihr gemeinsames Startkapital.

Doch in dem ganzen Wirrwarr sperren die Behörden Judes Konten. Er kann den Flug nicht bezahlen. Dagmar springt sofort ein und opfert ihre wenigen Ersparnisse. Aber Jude braucht rasch mehr. Er muss aus Sicherheitsgründen über Frankreich fliegen, ein paar Tage in Paris ausharren. Die Hotels sind teuer. Und Dagmar schickt neues Geld, immer per Sofort-Überweisung. Als ihr Konto leer ist, nimmt sie einen Kredit auf. Und die Ereignisse überschlagen sich. Ständig passieren neue Dramen. Sein Pass wird gestohlen, der Koffer beschlagnahmt und der Diplomat des Landes verwiesen. Dagmar wartet und zahlt, insgesamt 7000 Euro. Dreimal steht sie voller Vorfreude auf Jude am Frankfurter Flughafen und dreimal fährt sie mit Tränen in den Augen nach Hause zurück, allein. Klar, hat sie langsam ein flaues Gefühl. Aber sie will an Jude glauben, an dieses Leben, das man sonst nur im Fernsehen sieht. Und dann schreibt Jude plötzlich aus Dubai, am selben Tag aus London. Das macht sie stutzig. «Ich kann es nicht erklären, aber plötzlich fiel bei mir der Groschen. Ich dachte: der ganze Kerl ist ein Fake und Liebesbetrüger.»

Dagmar ist mutig, geht sofort zur Polizei. «Auf der Wache habe ich zum ersten Mal von ‹Love Scamming› gehört», so Dagmar. «Es ist eine moderne, international organisierte Form von Liebesbetrug.» Die Chance, den angeblichen Jude Ford ausfindig zu machen, ist gleich Null. Das Profil und der WhatsApp-Chat sind sofort gelöscht. Auch die E-Mail-Adresse gibt es nicht mehr. Jude Ford hat sich in Luft aufgelöst. Genauso wie ihr Geld.

Zurück zu Hause spürt sie Wut. «Hinter meinem Jude verbirgt sich vermutlich ein Junge aus einem afrikanischen Internetcafé in Lagos, der viele Stunden am Tag vorgefertigte Texte an zigtausend Frauen auf der ganzen Welt verschickt. Man fragt sich, warum man so doof und leichtgläubig gewesen ist.»

Sie kann den Liebesbetrügern nicht das Handwerk legen, dafür ist die Organisation viel zu professionell. Die Täter verfügen über gefälschte Ausweise, kein Name und keine Adresse stimmen. Die Überweisungen sind nicht nachvollziehbar. Aber sie möchte anderen betroffenen Frauen helfen. Deshalb schaltet sie sich mit der Polizei kurz, gründet eine Facebook-Gruppe. «Die Resonanz ist gewaltig. Mehr als 300 Betroffenen konnte ich in den vergangenen drei Jahren schon helfen, wieder ihren Kopf einzuschalten.» Dagmar hat die Enttäuschung und den finanziellen Verlust längst überwunden, denkt aber noch oft an Jude. «Es war einfach schön zu träumen», meint sie lächelnd.