«Dank meiner Mable bin ich wieder glücklich»

Simone litt unter einer Borderline-Störung: Mit acht Jahren verletzt sie sich das erste Mal selbst. Es folgen unzählige weitere Schnitte, Depressionen und eine lebensgefährliche Mager­sucht − bis vier Pfoten in ihr Leben treten und es für immer verändern.

Mable bringt mich dazu, mich selbst besser zu erkennen.» Die sanfte Golden-Retriever-Hündin hat ihrem Frauchen Simone Isenberg (52) einiges voraus. «Nie länger aufregen als nötig, gelassen durchs Leben gehen und einfach geniessen, was da ist. Diesbezüglich ist sie wirklich mein Vorbild», sagt Simone Isenberg in einem Interview mit der Zeitschrift «Bildwoche». Denn entspannt reagieren, Negatives einfach mal wegstecken: Das war für sie jahrelang unmöglich. «Für Borderliner ist es typisch, von Situationen komplett aus der Bahn geworfen zu werden, die andere vielleicht als ärgerlich oder unangenehm bezeichnen würden.» Sie komme eigentlich aus einer tollen Familie, sagt Isenberg. «Und trotzdem war relativ schnell klar, dass ich nicht so klarkam wie andere Kinder.»

Als sie als Achtjährige einmal mehr überfordert ist, verletzt sie sich das erste Mal selbst und zerschneidet sich mit einer Glasscherbe das Gesicht. «Schon als kleines Kind hatte ich entdeckt: Wenn ich mir selbst wehtue, geht es mir besser.»

Einige Jahre später hat sie ihre erste Beziehung – mit einem Jungen, den sie eigentlich gar nicht will. Doch Nein sagen, sich durchsetzen, das kann Simone Isenberg nicht. «Als Jugendliche habe ich meine Autoaggression dann sozusagen perfektioniert», resümiert sie heute. Das Ritzen sei für sie eher eine Rettung gewesen: «Meine Emotionen machten mir wahnsinnig Angst, denn es waren so viele. Sie waren so intensiv. Manchmal zu extrem. Ich konnte sie nicht aushalten und brauchte eine Möglichkeit, diesen irrsinnigen Druck abzulassen.» Erste Therapiesitzungen bringen die junge Frau nicht weiter. Sie wird magersüchtig und depressiv. Obwohl sie im Grunde ein sehr bunter Mensch ist, viel lacht und auch einen tollen Mann findet, sind ihre Dämonen stärker: «Ganz tief in mir fühlte ich mich immer einsam, kein noch so liebevoller Partner konnte etwas dagegen tun», sagt sie. «Ich fühlte mich wehrlos.» So wie sie empfinden viele Borderliner.

Die Wende bringt ihr erster Hund Candy. «Ich war 30 Jahre alt und hätte der glücklichste Mensch der Welt sein müssen.» Sie hatte sich lange einen Hund gewünscht. Doch statt eines folgsamen Begleiters bekommt sie einen Welpen, der macht, was er will. Candy bringt Isenberg an ihre Grenzen, und um ihr gerecht werden zu können, muss sie sich ändern: «Ich hatte endlich einen Grund gefunden, der wichtig genug war, gesund zu werden.» Ein damals noch kaum bekannter Hundetrainer namens Martin Rütter kann helfen. Sie werden Freunde, Simone Isenberg wird selbst Hundetrainerin.

In den folgenden Jahren kämpft sie um emotionale Stabilität. Sie lässt sich scheiden, überwindet die toxische Beziehung zu ihrer ersten Partnerin sowie Candys Tod und trifft ihre heutige Frau, die sie ermutigt, sich wieder einen Hund zu holen: «Seit dem Tag, an dem Mable bei uns eingezogen ist, habe ich keine Rasierklinge mehr in der Hand gehabt.» Die Hündin wird ihre beste Therapeutin. Simone Isenbergs Seele heilt. Jetzt will sie anderen Mut machen: «Egal, wie lang der Weg ist und wie aussichtslos er erscheint: Gib niemals auf!» Isenberg weiss, dass es sich lohnt. «Heute liegt jeden Morgen mein Mablechen bei mir. Und schwups, egal, wie wild ich geträumt habe, in diesem Moment empfinde ich einfach nur Liebe und Dankbarkeit.»