Aus Handicap wird Superkraft

Von klein auf hat Michel ­Fornasier ­gelitten und seine fehlende rechte Hand zu verstecken versucht. Seit der Schweizer zu seiner Beeinträchtigung steht, ist sein Leben ein ­anderes.

«Mein Handicap ist zwar kein schwerwiegendes, jedoch ein sehr sichtbares. Ich versteckte meinen Armstumpf über 35 Jahre lang.» Michel Fornasier (41) ist ohne rechte Hand zur Welt gekommen. Vor vier Jahren erhielt er seine erste bionische Hand. 55 000 Franken kostet das Stück. Doch für die Invalidenversicherung, die es zur Verfügung stellt, ist das immer noch günstiger als die Kosten, die irgendwann zur Korrektur von Fornasiers einseitig belastetem Körper angestanden hätten. 

Die Kinder finden Michel Fornasiers Prothese cool, möchten am liebsten auch eine.

«Kurz bevor ich die Prothese erhielt, ‹outete› ich mich als körperlich beeinträchtigter Mensch», erinnert sich der Fribourger. «Es war emotional und unglaublich erleichternd. Ich war müde, mein Handicap zu verstecken.» Und weil seine Offenheit auf ein positives Echo stiess, beschloss er, Brücken zwischen Menschen mit und ohne körperlicher Beeinträchtigung zu schlagen und Berührungsängste abzubauen.

Besonders am Herzen liegen ihm körperlich behinderte Kinder, die erst lernen müssen, mit ihrer Beeinträchtigung umzugehen, und es in der Schule oft schwer haben mit ihrem Anderssein.

Neben den Vorträgen, die er für Firmen und Stiftungen aller Art hält, tritt er hauptsächlich in Schulen auf. Er möchte den Kindern zeigen, dass ein Handicap kein Grund für Mobbing ist. So ist auch seine künstliche Hand nicht hautfarbig, sondern transparent, damit das technische Konstrukt gut sichtbar ist. «Die Kinder finden das toll. Sie fragten mich, ob ich mit der ‹Zauberhand› Superkräfte hätte.» Anfangs verneinte er. Bis er merkte, dass es genau darauf ankommt: Aus einem Handicap eine Superkraft zu machen. Seit einem halben Jahren tritt er nun mit einem Superhelden-Cape und glitzerndem Anzug als Bionicman auf. Es gibt auch ein Comicbuch über den Helden mit Handicap. Im Herbst erscheint ein zweiter Band.

Bionicman ist inzwischen über die Landesgrenzen hinaus bekannt: «Neulich schrieb mir ein Vater aus Hamburg. Sein Sohn, der eine Hand verloren hatte, wurde von zwei älteren Schülern wegen seiner Behinderung gemobbt. Der Junge entgegnete: ‹Stimmt, ich habe nur eine Hand – genau wie Bionicman – also bin auch ich ein Superheld!» Fornasiers Augen leuchten – das ist genau, was er mit seinem Herzensprojekt erreichen möchte: Eine vermeintliche Schwäche wird eine Stärke.

Seit mehreren Jahren engagiert sich der Wahlzürcher für seine Stiftung «Give Children a Hand». Per 3-D-Drucker fertigt er zusammen mit Spezialisten Handprothesen für Kinder. Bunte und robuste Superhände, welche Kindern sicheres Fahrradfahren ermöglichen oder das Festhalten eines Ski-Stocks.

Der gelernte Finanzfachmann sieht das Leben von einer ganz neuen Seite, seit er mit seiner «enthindernden» Mission unterwegs ist. «Ich bin sehr dankbar, dass meine Geschichte Menschen berührt und ich sie so für die Tabuthemen Handicap und Mobbing sensibilisieren kann.»