«Am Grab fühle ich mich Sina ganz nah»

Das zwölfjährige Mädchen aus dem Baselbiet starb an einer alltäglichen Krankheit. Oft besucht ihre Mutter die letzte Ruhestätte ihrer Tochter und trauert still.

Manchmal geht sie täglich  hin, dann gibt es wieder Abstände von zwei Wochen, nach denen Petra Schaub (45) das Grab ihrer Tochter Sina aufsucht, die im Alter von nur zwölf Jahren starb. «Dort kann ich ganz für mich allein sein und fühle mich Sina ganz nah», sagt die Servicefachfrau aus Rickenbach BL.

Heute könne sie bewusst traurig sein, am Anfang seien die Grabbesuche grässlich gewesen. Die Tragödie liegt vier Jahre zurück. Sina fühlte sich unwohl, lag ein paar Tage im Bett. «Danach schien es ihr wieder besser zu gehen», erinnert sich die Mutter. Einige Zeit später ging es ihr aber wieder schlechter. Sie litt unter Erbrechen, Durchfall und hatte enormen Durst. Der Arzt verschrieb mehrere Medikamente gegen Fieber und Magenweh.

Doch ihr Gesundheitszustand änderte sich nicht, zu Hause brach Sina zusammen. Ihr Körper wurde immer kälter, sie redete wirr. In der Zwischenzeit hatte Sina auch Krampfanfälle. Dann sagte sie: «Mama, ich sterbe.» Diese wählte die Nummer 144 und rief eine Ambulanz. «Der Krankenwagen kam erst nach 30 Minuten. Das war viel  zu spät.»

Auf der Notfallstation wollte sich das Mädchen nichts anmerken lassen, gab sich tapfer. So kam es zum verheerenden Fehlentscheid, und Sina wurde wieder nach Hause entlassen. Daheim lag sie neben der Mutter
im Bett. Sie hatte Krämpfe, atmete schwer. «Sina sprach nicht mehr, wälzte sich nur hin und her. Es war für mich nicht auszuhalten, meine Kleine so zu sehen.» Es folgten Minuten der Stille, die Mutter glaubte an eine Besserung. «Doch dann starb mein krampfendes, nicht mehr ansprechbares Kind in meinen Armen», sagt Petra Schaub. Todesursache war ein Grippevirus. Auch wenn Sina überlebt hätte, wären bleibende Schäden die Folge gewesen, denn der Erreger hatte sich schon im ganzen Körper verbreitet.

Petra Schaub ist heute nicht mehr wütend auf die Ärzte. «Immer wieder habe ich mich nach Sinas Tod gefragt, warum niemand erkannt hat, dass sie in Lebensgefahr ist.» Doch solche Gedanken hätten sie nur zusätzlich verbittert. «Ich brauche keinen Schuldigen mehr.»

Nach der Beerdigung habe sie erst einmal nur funktioniert. «Ich habe danach zwei Jahre psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen.» Bei der Verarbeitung ihrer Trauer half Petra Schaub das Aufschreiben von Sinas Geschichte. «So fand ich Stück für Stück zurück ins Leben.» Jetzt zieht Petra Schaub bald in ein anderes Haus, freut sich zwar, weiss aber, dass die Erinnerungen sie begleiten werden.

Sie sagt, manchmal verstünden die Leute nicht, warum sie auch noch nach vier Jahren mit dem Ereignis nicht habe abschliessen können. «Ich wünschte mir etwas mehr Verständnis.» Denn für Petra Schaub gilt: Die Zeit heilt nicht alle Wunden, sie hinterlässt manchmal tiefe Narben.

Buch-Tipp

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Petra Schaub: «Dieser Stern am Himmel ist meiner, er trägt den Namen Sina – der plötzliche Tod einer 12-Jährigen», www.edition-fischer.com, Fr. 27.90.