Alles zerstört – wegen einer Verwechslung

Ein Familienvater aus England wird mit Säure überschüttet. Grundlos – der Täter hat sich in der Tür geirrt! Obwohl für immer entstellt, hegt das Opfer keinen Zorn gegen den Angreifer.

Es passierte kurz vor Weihnachten 2014. Andreas Christopheros war zu Hause, als es an der Türe klingelte. Er öffnete in der Annahme, es sei ein Paketbote. Stattdessen schüttete ihm ein Fremder Flüssigkeit ins Gesicht und auf den Oberkörper. «Ich sah, wie sich mein T-Shirt aufzulösen begann. Da wusste ich, dass es Säure war. Der Täter sagte nur: ‹Das ist für dich, Kumpel!›», erzählt der 35-Jährige. Es sei schwer, den Schmerz zu erklären, den Säure auf der Haut erzeugt. «Es ist, als hätte dich jemand mit Benzin überschüttet und angezündet. Meine Frau Pia sagt, sie werde meine Schreie nie vergessen können.» Noch heute öffnet die 38-Jährige mit mulmigem Gefühl die Tür.

«Meine grösste Angst war», fährt Andreas fort, «wie mein damals 18 Monate alter Sohn Theo reagieren wird. Erkennt er mich wieder? Hat er Angst vor meinem Anblick?» Zuerst wandte der kleine Bub seinen Blick ab. Doch sobald Andreas zu sprechen begann, schmuste das Kind fast eine Stunde mit seinem Papa. «Das war das schönste Gefühl der Welt!»

Die Behörden dachten zuerst, Andreas habe etwas getan, das zu der Attacke führte. Irgendwann verlor der Engländer die Hoffnung, dass der Fall je gelöst würde. «Bis die Polizei eines Tages meldete, sie wüsste nun, wie und warum das passiert sei, und könne es beweisen.»

Es stellte sich heraus, dass der Vater von zwei Kindern das Opfer einer grausamen Verwechslung wurde. Ein Mann namens David Phillips war auf einem Vergeltungsfeldzug: Er glaubte, dass jemand aus seiner Familie sexuell belästigt worden war. Phillips reiste von Hastings im Südosten Englands nach Truro im Südwesten – um sich an der falschen Person zu rächen. Vor Gericht bekannte sich Phillips schuldig. Zuerst erhielt er lebenslänglich. Das Urteil wurde später auf 16 Jahre revidiert, wovon er acht Jahre absitzen muss. Für sein Opfer noch schlimmer: Nach nur fünf Jahren hinter Gittern ist der Täter in einer offenen Haftanstalt. «Er kann seine Liebsten besuchen, sein Leben wieder aufbauen und in vier Jahren frei sein. Während ich für immer mit den Folgen der Tat leben muss, sie betreffen jeden Bereich meines Lebens. Ich bin auf einem Auge blind, muss ständig operiert werden – meine Augenlider wurden zum dritten Mal erneuert.»

Seine Familie wundert sich, dass Andreas nicht so wütend und nachtragend ist wie sie. Doch er sagt: «Dass ich verarbeiten konnte, was ich erlebt habe, ohne Zorn oder Rachegelüste zu verspüren, ist das Beste, was mir passieren konnte. Ich könnte Phillips heute gegenübersitzen und mit ihm sprechen. Das ist meine grösste Errungenschaft.»