Abschied durch das Spitalfenster

Besucher in Spitälern sind in den meisten  Ländern verboten. Wegen Corona. Doch ein junger Mann aus Hebron wollte seine Mutter nicht allein lassen.

Als seine Mutter vor ein paar Wochen positiv auf Corona getestet wurde, riss es Jihad Al-Suwaiti den Boden unter den Füssen weg. Er liebte sie über alles und wollte sie nicht verlieren. In Palästina sind bis heute knapp 10000 bestätigte Corona-Kranke identifiziert worden, 66 davon sind offiziell verstorben. Rasma Salma sollte kein Fall für die Statistik werden, dafür wollte Jihad sorgen.

Nach der Diagnose behielt man die ältere Dame im Spital in Hebron, sie litt schon länger an Leukämie. Der 30-jährige Sohn wollte ihr nicht von der Seite weichen. Doch wegen der Ansteckungsgefahr dürfen Angehörige ihre hospitalisierten Familienmitglieder in den meisten Ländern zurzeit nicht besuchen. Das ist auch in Palästina so.

«Jihad ist störrisch», sagt sein Bruder Abang. «Er wollte bei ihr sein und sichergehen, dass sie gut gepflegt und behandelt wird. Davon liess er sich nicht abbringen. Jihad ist der Jüngste in unserer Familie und stand unserer Mutter sehr nahe. Besonders seit dem Tod unseres Vaters vor 15 Jahren.»

Tatsächlich fand der besorgte Sohn einen anderen Weg, seiner Mama nahe zu sein: Jeden Tag kletterte er eine Abflussröhre hinauf in den zweiten Stock des Spitals und setzte sich auf den Fenstersims des Zimmers, in dem sie im Krankenbett lag.

Ein Sprecher des Spitals bestätigt: «Er verbrachte fast den ganzen Tag dort und überwachte ihren Zustand von draussen durch das Fenster. Er ging erst wieder nach Hause, wenn er sicher war, dass sie gut und fest schlief.»

Bis zuletzt hatte der Sohn die Hoffnung nicht aufgegeben, dass seine Mutter die Krankheit überstehen wird. Aber am 16. Juli erlag Rasma Salma am Corona-Virus. Jihad konnte sich nur durch das geschlossene Fenster von ihr verabschieden. «Er war wütend über Mamas Tod, verlor zeitweise seinen Glauben», berichtet Bruder Abang. «Doch inzwischen kann er das Geschehene akzeptieren, es geht ihm wieder besser.»

Jihads Geschichte berührte die Herzen der Menschen weltweit. Ein Uno-Mitarbeiter namens Mohamad Safi verbreitete das Bild des jungen Mannes auf dem Fenstersims via Twitter. Und stellte eine Zeichnung dazu, die Rasma Salma als Engel zeigt, der Jihad auf seinem Stammplatz am Fenster liebevoll über den Kopf streicht und seinen Schmerz über ihren Tod lindert. Ein wahrhaft tröstliches Bild.