«Ich fühlte, dass ich dieses Kind lieben sollte»

Ein Mädchen liegt fünf Monate im Spital und erhält kein einziges Mal Besuch! Als Krankenschwester Liz Smith das realisiert, entscheidet sie sich, für die Kleine ihr Leben zu ändern.

Vor zwei Jahren betritt -Chef-Krankenschwester Liz Smith (45) wie jeden Tag ihren Arbeitsort im Franciscan Children’s Hospital in Brighton, Massachusetts. Als sie auf den Lift wartet, sieht sie ein kleines Mädchen mit hellen, blauen Augen und braunen Löckchen.

«Wer ist denn dieser hübsche Engel?», fragt Smith die Schwester, welche die Kleine bei sich hat. Diese weiss nicht viel mehr als den Namen: Gisele. Smith findet heraus, dass das acht Monate alte Kind unter Obhut der Behörden steht. Seit fünf Monaten ist sie schon im «Franciscan».

Gisele ist als Frühgeburt in einem anderen Spital zur Welt gekommen. Sie hat postnatale Entzugserscheinungen – ihre Mutter konsumierte während der Schwangerschaft Kokain und Heroin. Der Staat übernimmt die Verantwortung, als Gisele drei Monate alt ist, und bringt sie ins «Franciscan» – ihre Lungen brauchen eine spezielle Behandlung. Zudem ist Gisele auf eine Magensonde angewiesen. Während der fünf Monate, die sie im «Franciscan» verbringt, ist das Baby ganz allein, es kommt kein einziger Besucher!

Als Liz Smith an diesem Abend nach Hause geht, denkt sie nur an Gisele. «Plötzlich wusste ich, dass ich das Baby zu mir nehmen und seine Mutter sein würde.» Die Behörden suchen nach einer Pflegefamilie, da die leiblichen Eltern kein Interesse an ihrer Tochter haben.

Liz ist selbst in einer kinderreichen Familie aufgewachsen. Für sie war immer klar, dass sie selbst einst eine Familie haben würde. Doch das Leben spielte nicht mit. Viele ihrer Geschwister sind verheiratet, haben Kinder. Nur Liz ist immer noch allein. «Es sollte wohl nicht sein.» Sie leidet, muntert sich damit auf, die «weltbeste Tante» für ihre 13 Nichten und Neffen zu sein.

Ihre Geschwister versuchten, Liz zu einer In-vitro-Befruchtung oder Adoption zu überreden, doch das wollte sie nicht. «Ich sah Liz immer als Mutter, sie hat das in sich», sagt ihre Schwester Elly (40). Für Gisele wirft Liz alle Bedenken über Bord. «Seit dem Moment, als ich sie das erste Mal gesehen habe, war etwas da, das mich zu ihr hinzog. Ich fühlte, dass ich dieses Kind lieben und ihm Sicherheit geben sollte.»

Von nun an setzt sie sich jeden Abend an Giseles Spitalbett und spricht mit ihr. «Sie war unterentwickelt, und ich wollte sie so schnell wie möglich zu Hause haben, damit sie Fortschritte machen kann.»

Im April 2017, Gisele ist neun Monate alt, erhält Liz die Erlaubnis, die Kleine zu sich zu nehmen. «Als ich mit ihr und all den Babysachen im Auto den Parkplatz des Spitals verliess, war es schon ein Schock: Jetzt ist es so weit!» Ein halbes Jahr später unterzeichnet sie die Adoptionspapiere.

In ihrer neuen Umgebung blüht Gisele auf. Mit 15 Monaten kann sie laufen und weiss schon diverse Worte. «Dies ist die Mutter-Tochter-Beziehung, auf die meine Schwester so lange gewartet hat», sagt Elly Smith. «Es ist unübersehbar, dass sie sich gegenseitig ergänzen und brauchen.»

Heute, mit über zwei Jahren, ist Gisele immer noch untergewichtig und braucht die Magensonde. «Doch sie ist voller Energie, liebevoll und liebt es, spontan laut zu singen», sagt Liz voller Freude. Giseles aktueller Lieblingssong ist «You Are My Sunshine». «Jedesmal, wenn sie das singt, denke ich: ‹Du hast ja keine Ahnung!›»