«Zweifel sind ein guter Motor»

Schwierige Rollen reizen die Schauspielerin – obwohl diese auch mit Unsicherheiten verbunden sind. Eine spezielle Herausforderung bot sich nun mit der «Protokollantin».

Zwei Stunden dauerte es, bis die schöne Iris ­Berben (68) in die schüchterne, unscheinbare Freya Becker verwandelt war. Der ZDF-Fünf­teiler «Die Protokollantin» (ab 20. 10., samstags, 21.45 Uhr) erzählt die Geschichte einer introvertierten Frau, deren 18-jährige Tochter vor elf Jahren spurlos verschwunden ist. Als Protokollantin in einem Morddezernat schreibt sie Tag für Tag die Vernehmungen von Verdächtigen mit, hört die schrecklichsten Verbrechen und Lügen – nicht ohne Folgen.

GlücksPost: Sie sind eine Frau, der man hinterherschaut. Als «Protokollantin» spielen Sie nun eine einsame, unauffällige Frau – eine graue Maus. Wie hat sich das für Sie angefühlt?
Iris Berben: Man ist ja in seinem privaten Umfeld auch nicht immer gestylt. Die Rolle ist nahe an meinem Alter – aus dem habe ich auch nie einen Hehl gemacht. Aber wir wissen alle, wie viele Möglichkeiten es gibt, jemanden vorteilhaft aussehen zu lassen. Es hat viel mit Licht und Make-up zu tun.
Was hat Sie denn an dieser Rolle speziell gereizt?
Die Reduktion in dieser Rolle. Ich finde sie schon deshalb spannend, weil du gar keine Möglichkeit hast, dich zu verstecken. Du lieferst dich dem Zuschauer aus in deiner Nacktheit. Diese Rolle war für mich eine Herausforderung. Die kann man nicht spielen als schöne ­Amazone.
Brauchen Sie denn die Herausforderung?
Ja, unbedingt! Ich habe immer am meisten Lust auf Sachen, von denen ich denke: «Ich weiss gar nicht, ob ich das kann.» Der Zweifel, der dich begleitet, ist auch ein guter Motor. Man analysiert, wenn man Angst hat. Und wenn man analysiert, ist man schon auf einem guten Weg.
Sie wurden wunderbar auf ungeschminkt geschminkt. Wie lange dauerte die Prozedur jeweils?
Die Leute denken ja, wenn man nichts sieht, dann ist auch nichts gemacht. Wir brauchten schon gute zwei Stunden. Je nachdem, wie erschöpft Freya auszusehen hatte. Zeitaufwendig war vor allem die Halbperücke.
Wie haben Sie sich vorbereitet? Trafen Sie sich mit einer Protokollantin, durften Sie womöglich bei Verhören dabei sein?
Nein, das nicht. Aber ich habe mit einer Protokollantin telefoniert, und sie hat mir eine Menge erzählt. Ausserdem hat mich meine Regisseurin Nina Grosse mit viel Material versorgt, u. a. mit freigegebenen Protokollen über Fälle, über die man auch schon medial lesen konnte. Um in diese Rolle einzutauchen, war es sehr wichtig, diese zu lesen.
Die Thematik des Films ist ziemlich düster. Konnten Sie nach Drehschluss jeweils gut loslassen beziehungsweise abschalten?
Ja, das kann ich gut. Aber mit dieser Rolle ist in mir eine andere Sensibilität geweckt worden. Ich brauche täglich meine Nachrichten. Wenn ich nun über derartige Verbrechen lese, denke ich mit grossem Respekt an die Menschen, die sich damit beruflich auseinandersetzen müssen.
Ihr Sohn Oliver Berben ist Produzent der «Protokollantin». Gab es nie Stress am Set?
Nein! (lacht.) Ich glaube, das stellen sich die meisten falsch vor. Wir ­haben während der Dreh­arbeiten gar nichts miteinander zu tun. Der Produzent kommt vielleicht am ersten Tag, um allen ­guten Tag zu sagen und eine gute Arbeit zu ­wünschen.
Sie sind noch immer eine der gefragtesten Schauspielerinnen Deutschlands, haben unzählige Filme gedreht …
(Lacht.) Es sind nun ja auch schon 50 Jahre, die ich arbeite. Das ist mir gerade bewusst geworden. Ich habe 1968 meinen ersten Film gemacht – eine lange Zeit.
Dennoch: Hatten Sie auch mal ­Existenzängste?
Ja natürlich, denn ich wollte auch nicht alles drehen, was man mir ­anbot. Ich habe ein Kind grossgezogen, und natürlich sind da immer wieder Zeiten gewesen, in denen ich dachte: Hoffentlich geht’s weiter. Ich habe zwischendurch gejobbt – gekellnert, in Boutiquen gearbeitet, Englisch-Nachhilfe gegeben – und mich damit über Wasser gehalten.
Sie sind auch Autorin, haben u. a. «Älter werde ich später. Das Geheimnis, schön und sinnlich, fit und entspannt zu sein» geschrieben. Gibt es bald ein neues Buch?
Das nächste Jahr ist mit Dreharbeiten angefüllt. Daher habe ich gar keine Zeit. Aber ich mache noch immer gerne Hörbücher, auch für Kinder. Dann habe ich nach wie vor meine Lesungen gegen das Vergessen, gegen Ausgrenzung, Antisemitismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit – es kommt ja leider immer wieder etwas Neues dazu. Anstatt dass alles besser wird, fangen wir wieder von vorne an.
Sie waren kürzlich zur Premiere von «Der Vorname», in dem Sie eine kleine Rolle spielen, in Zürich am Filmfestival. Sind Sie oft in der Schweiz zu Besuch?
Sogar schon bald wieder: Ich trete am 7. 11. mit Daniel Hope, ­Geiger und Musikdirektor des Zürcher Kammerorchesters, im Schauspielhaus Zürich auf. Ich lese Texte zu Werken jüdischer Komponisten. Ich bin überhaupt gerne in der Schweiz, war früher, als ich noch Ski ­gelaufen bin, oft im wunderschönen Engadin. Aber die Knochen machen es leider nicht mehr so mit. Ich habe mir zu häufig Brüche zugezogen, da wird man immer unsicherer.
Schauen Sie sich Ihre Filme eigentlich an?
Ja, klar. Ich tue dann immer so, als wäre Premiere – kein Popcorn, das mag ich nicht, aber gerne mit einem guten Glas Wein.