Nik Hartmann: «Ich war tief bewegt und habe geweint»

Im kriegsgeschädigten Sri Lanka lernte der Moderator Buben und Mädchen mit schweren Schicksalen kennen, was ihm sehr nahe ging. Er möchte helfen, diesen Kindern eine Chance zu geben – so wie sie seine Söhne auch bekommen.
 
Über ein Dutzend Kinder scharen sich um Nik Hartmann (38), berühren ihn mit ihren kleinen Händen und strahlen aus ganzem Herzen. Es sind Mädchen und Buben,die nichts zu lachen haben. Deren Zukunft unsicher ist, weil sie in einem Land geboren sind, in dem bis vor anderthalb Jahren Krieg herrschte. Moderator Nik Hartmann reiste eine Woche nach Sri Lanka, besuchte Projekte von Hilfsorganisationen und traf Menschen, die mit ihm ihre – oft traurigen – Lebensgeschichten teilten. Er wird sie weitererzählen, im Rahmen der Spendenaktion «Jeder Rappen zählt» (siehe unten). Wie letztes Jahr zieht er am 13. Dezember für sechs Tage in eine Glasbox auf dem Bundesplatz in Bern, von wo aus er mit zwei Kollegen rund um die Uhr für Radio DRS 3 moderiert und Geld für Kinder im Krieg oder in Konfliktgebieten sammelt.
 
GlücksPost: Mit welchen Gedanken reisten Sie nach Sri Lanka?
Nik Hartmann: Ich musste ehrlich gesagt erst einmal auf der Karte nachschauen, wo Sri Lanka genau liegt – südöstlich von Indien übrigens. Ich war vor allem neugierig: Woher kommen die Leute, die wir bei uns tagtäglich auf der Strasse sehen? Die so tüchtig sind und herzlich und dadurch auffallen, dass sie eben nicht auffallen?
 
Weshalb braucht das Land denn überhaupt Hilfe?
Bis vor anderthalb Jahren herrschte in Sri Lanka Bürgerkrieg zwischen den Singhalesen und den Tamilen. Die Regierung und die radikale Organisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) bekriegten sich aufs Brutalste. Darunter gelitten hat vor allem die Zivilbevölkerung – und sie leidet noch immer, besonders natürlich die Kinder. Wir reisten in den Osten des Landes, der 2004 auch schwer vom Tsunami betroffen war.
 
Wie konnten Sie helfen?
Es liegt mir fern, mich als Gutmenschen darzustellen. Es sind die Hilfsorganisationen vor Ort, die Grossartiges leisten.Unter anderem bauen sie Häuser, unterhalten Schulen und behandeln traumatisierte Menschen. Ich bin nur ein Moderator – und habe das Glück, dass ich die Möglichkeit bekomme, diese Leute kennenzulernen und zu Hause über meine Erlebnisse zu berichten. Von sieben Uhr morgens bis sechs Uhr abends waren wir unterwegs und besuchten Menschen, die uns ihre Schicksale erzählten.
 
Was hat Sie in Sri Lanka besonders berührt?
Ich traf ein 17-jähriges Mädchen, das mit 15 von den Rebellen entführt und zur Soldatin ausgebildet wurde. Sie war im Krieg, musste Bunker bauen. Umgebracht habe sie niemanden. Aber wer weiss? Dabei war sie auf jeden Fall. Als sie flüchten konnte, wurde sie von Regierungstrupps aufgefunden und in ein Gefangenenlager gesteckt.«Wie ein Hund wurde ich behandelt», Zu Ehren von Nik Hartmann führten sri-lankische Kindergärtler ein Theater in traditioneller Kleidung auf. «Die Kleinen sprühten vor Lebensfreude.» Das Hilfswerk Caritas stellte dieser Familie ein Haus zur Verfügung – und rettete sie damit. Denn der Vater war im Krieg, kann heute nicht mehr arbeiten. sagte sie. Wasser habe sie aus Pfützen getrunken, neben denen Leichen aufgetürmt waren. Und über all die Zeit wurde sie mehrfach vergewaltigt. Ein Horror!
 
Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie Ihnen all das offenbarte?
Das ganze Team war tief bewegt. Und ja, ich habe kurz geweint – das ging gar nicht anders. Man wünschte dieser Frau nichts mehr, als dass sie nochmals ein Leben geschenkt bekommt. Schön ist, dass in Sri Lanka tätige Organisationen, wie zum Beispiel Terre des Hommes und Caritas, diese Menschen findet: Die junge Frau ist heute in einem psychosozialen Programm. Allein dass sie über ihr Schicksal spricht, ist schon ein grosser Fortschritt.
 
Sie haben auch viele Kindergärten und Schulen besucht. Wie sind die Kinder auf Sie zugegangen?
Sie waren zuckersüss und sprühten vor Lebensfreude. Sie haben für mich einheimische Lieder gesungen, ich gab für sie «Sibe chugelrundi Söi» zum Besten. Ich stand vor ihnen und dachte mir: «Ich habe in meinem38-jährigen Leben nicht so viel gesehen, wie diese Kinder mit fünf oder sechs Jahren.»
 
Was brauchen sie am meisten?
Eine Zukunft! Etwas, worauf sie sich freuen können, das ihrem Leben einen Sinn gibt. Ich habe Halbwüchsige getroffen, die nicht wussten, wieso sie überhaupt zur Schule gehen, weil sie danach ohnehin keinen Job finden. Man muss diese Kinder begleiten und unterstützen. Denn das ist die Generation, die es in die Hand nehmen muss, das Land wieder aufzubauen.
 
Merkten Sie den Buben und Mädchen ihre teils traurige Vergangenheit an?
Manchmal konnte ich beobachten, dass sie sich zurückgezogen haben, traurig waren. Aber in der Gruppe waren sie auch schnell wieder fröhlich. Es erinnerte mich an meine Buben: In einem Moment weinen sie,im andern sind sie wieder munter. Die Kinder dort unterscheiden sich nur durch Sprache und Hautfarbe von unseren Kindern. Erst später werden sie von Umgebung, Kultur und Erziehung geprägt.
 
Was nehmen Sie von solchen Reisen mit?
Ich erfahre Dinge, die beschäftigen mich auch noch, wenn ich wieder zu Hause bin. Ich glaube aber nicht, dass mich meine Reisen in Entwicklungsländer wie Tansania oder eben Sri Lanka verändert haben. Sie erweitern jedoch den Horizont, zeigen mir, zu was Menschen fähig sind und in welchen Situationen wir überleben können. Denn dort geht es wirklich ums tägliche Überleben. Wir hier sind wirklich sehr weit vom Minimum entfernt.
 
Ihre Söhne Constantin, Frederik und Melchior sind acht, fünf und eineinhalb Jahre alt. Wieviel erzählen Sie ihnen von Ihren Reisen?
Alles! Ich zeige Fotos, erkläre ihnen zum Beispiel, wie man in Sri Lanka zur Schule geht. Ich mache meine Erlebnisse aber nie zur Erziehungsmethode, sage also nicht: «Iss deinen Teller leer, andere Kinder wären froh darum.» Ich finde, meine Jungs wissen schon gut Bescheid. Constantin hat mir vor meiner Abreise ein Handy-Filmchen gedreht. Darauf sagte er, er wünsche mir, dass im Flugzeug gute Filme gezeigt werden – und ich solle immer die Hände waschen und nur sauberes Wasser trinken. Er realisiert auch, dass Wasser nichts Selbstverständliches ist. Ich hatte dieses Bewusstsein lange nicht.
 
Was ist das Wichtigste, das Sie Ihren Kindern mit auf den Weg geben möchten?
Respekt und Neugier! Ich wünsche mir, dass sie unvoreingenommen durchs Leben gehen und Selbstvertrauen entwickeln. Und dass sie ohne «Ellbögeln» zurechtkommen undes nicht nötig haben, sich selbst grösser zu machen, indem sie andere klein machen. Das hasse ich nämlich.
 
Und wie klappt das?
Die Buben sind ja noch klein, aber bisher schlagen sie sich gut. Constantin geht schon in die zweite Klasse und ist etwas ruhiger als Frederik, der in den Kindergarten geht. Er ist etwas mehr der Haudegen. Bei Melchior werden wir es noch sehen, er wird im März ja erst zwei Jahre alt.
 
Bald gehen Sie für «Jeder Rappen zählt» wieder für eine Woche in die Glasbox. Freuen Sie sich?
Und wie! Ich kann gar nicht glauben, dass es schon ein Jahr her ist seit dem letzten Mal. Ich bin aufgeregter als 2009 – durch den riesigen Erfolg damals setze ich mich selber etwas unter Druck. Aber ich habe mit Anic Lautenschlager und Tom Gisler zwei tolle Kollegen, die das Heu auf der gleichen Bühne haben, «ufgstellt und sprützig» sind.
 
Und was sagt Ihre Familie dazu, wieder eine Woche ohne Papi und Ehemann zu sein?
Von da her betrachtet, sind wir froh, wenn das Jahr vorbei ist. Wir mussten oft aufeinander verzichten, was nicht immer leicht war. Aber ich würde nicht gehen, wenn ich nicht wüsste, dass alle gut damit zurechtkommen. Und auch wenn ich auf Reisen bin, wie gerade in Sri Lanka, haben wir intensiven Kontakt und tauschen uns aus. Dadurch weiss ich immer Bescheid, was gerade los ist und kann meiner Familie das Gefühl geben, dass ich bei ihnen bin. Und wer viel geht, kommt oft wieder nach Hause, was ja auch schön ist. Und wie gesagt, auf die Glasbox freue ich mich sehr! Ich bin auch schon sehr gespannt auf unsere prominenten Gäste. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren.
 
Am13. Dezember geht es los. Sagen Sie uns: Wir sollten für «Jeder Rappen zählt» spenden, weil…
… Kinder eine Zukunft brauchen! Nicht nur in Sri Lanka, auch in Kolumbien, wo Anic war, im Kongo, wo Mario Torriani hinreisen wird, und in anderen vom Krieg geschädigten Ländern. Sie sollen eine Chance im Leben bekommen, wie wir sie unseren eigenen Kindern ja auch wünschen. Sie sollen leben und – so hart das klingt – sterben dürfen. Und nicht von Anfang an zum Sterben verdammt sein.
 
Dank«Jeder Rappen zählt» kamen für den Kampf gegen Malaria bis Ende 2009 rund sieben Millionen Franken zusammen, bis September 2010 sogar über neun Millionen.
Ja, einfach super! Aber geldmässig mache ich dieses Jahr keine Prognose – wie der Name schon sagt: Jeder Rappen zählt. Aber ich habe grosses Vertrauen, dass das Publikum auch dieses Jahr «abgoht wie e Rakete»!
 
«Jeder Rappen zählt»
Von 13. bis 18. 12. lebt Nik Hartmann in einer Glasbox auf dem Bundesplatz in Bern. Mit dabei: Anic Lautenschlager (DRS Virus) und Tom Gisler (DRS 3). Zu hören sind die Moderatoren auf DRS 3, zu sehen auf SF 2 und www.jrz.ch. Sie sammeln Geld für die Aktion «Jeder Rappen zählt», die Kinder im Krieg unterstützt.
Spenden an Postkonto 10-15000-6, Glückskette, 1211 Genf (Stichwort JRZ).
 
 
Das gesamte Interview können Sie in der Ausgabe 48/2010 vom 2. Dezember nachlesen.