«Neue Freunde findet man im Alter kaum»

Mit Hundedame ­Amélie ist der Mode­rator täglich ein bis zwei Stunden unterwegs. Körperliche ­Fitness ist nicht sein einziges Rezept für ein gesundes Leben im ­Alter. Viel wichtiger ist ein stabiles Umfeld.

Das Auto ächzt auf dem steilen Kiesweg. Hoffentlich bleiben wir nicht stecken. Schliesslich kommen wir heil am Ziel an – am Waldrand von Davos Clavadel winkt uns Kurt Aeschbacher von der Terrasse seines Chalets zu. Kaum haben wir die Türen geöffnet, begrüsst uns seine fünfjährige Labradorhündin schwanzwedelnd. 

Die Aussicht auf Berg und Tal ist atemberaubend. Der Hausherr führt uns nach oben, vorbei an einer Wand voller gerahmter Schwarzweiss-Fotos. Der passionierte Kunstsammler suchte bei Sammlern und auf Auktionen historische Bilder des Ortes und gestaltete ein Panorama, vor dem man gerne stehen bleibt und die Details betrachtet.

Beim Kaffee betont der ehemalige TV-Moderator, wie sehr er es geniesse, Zeit für sich zu haben. «Ich bin an einem sehr angenehmen Punkt in meinem Leben», ist sein Fazit. «Heute freue ich mich, Anlässe zu moderieren – früher dachte ich ‹Oh, nicht schon wieder, ich mag da nicht hin.›» Nun habe er einen guten Rhythmus gefunden: Maximal zwei Moderationen pro Woche, der Rest ist Privatleben. Jetzt, ohne den Zeitdruck des Berufes, könne er sich viel besser auf neue Aufgaben einlassen und sich einbringen. «Es ist besonders im Alter wesentlich, dass man sich immer wieder neuen Herausforderungen stellt, damit Körper und Geist in Schwung bleiben.» So begleite er mehrmals pro Jahr Leser-Reisen seiner Zeitschrift «50plus» oder von anderen Veranstaltern: «Ich zwinge mich, mich auf die Erwartungen der Reisenden einzulassen.» Demnächst geht es ins Tessin und ins Bergell, im Herbst nach Laos und Kambodscha. «Ich bin so etwas eine Art journalistisches Gewissen der Reisegruppe und halte Vorträge über Geschichte und Politik des besuchten Landes. So bin ich gezwungen, mich mit den Hintergründen einer Destination auseinanderzusetzen. Niemand zwingt mich dazu, aber das ist eben so eine Aufgabe, die ich mir gerne selbst stelle, um geistig nicht stehenzubleiben.»

Mit der deutschen Moderatorin und Autorin Nina Ruge (66) produziert der 74-Jährige einen Podcast: In «Zwäg²» geht es darum, gesund alt zu werden. Fitness macht glücklich, gute Ernährung hält gesund. Neben diesen bekannten Tatsachen weist Aeschbi auf einen weiteren, wichtigen Punkt hin: «Ganz essenziell ist die Pflege von Freundschaften», betont er. «Da muss man diszipliniert sein und darf nicht erst nach der Pensionierung damit beginnen.» Vereinsamung im Alter sei ein grosses Problem, der fehlende Kontakt führe zu einer Verarmung der Denkstrukturen.

Kein Wunder, freut er sich, jetzt ein paar Wochen mit seinem Partner Leonardo Reinau (38) in ihrem Anwesen in Südfrankreich zu verbringen. Er sehnt sich nach seinem geliebten Garten. «Wir waren dieses Jahr schon zwei Mal kurz da, um nach dem Rechten zu sehen.» Sowohl Umschwung als auch Haus wollen die beiden zurechtmachen für die Freunde, die sie erwarten – viele verbringen mit ihren Partner:innen und -Familien ein paar Ferientage bei ihnen. «Deshalb heisst es jedes Jahr, das ‹Hotel› in Schwung zu halten.» Sie hätten auch tolle französische Nachbarn, die inzwischen Freunde sind. Aeschbi ist angetan von diesen Begegnungen: «Da kommen die verschiedensten Menschen zusammen: unser Gärtner, die 94-jährige Bäuerin von nebenan – alle, die unser Haus übers Jahr in Schwung halten mit den Freunden aus der Schweiz.» Keiner will sich die gemütlichen Abende an Aeschbachers Tafelrunde entgehen lassen.  

Wir machen uns auf einen Spaziergang mit Hundedame Amélie. «Ich gehe täglich ein bis zwei Stunden raus mit ihr.» Am liebsten steigen die beiden den Hügel hinter ihrem Haus weiter hinauf, gehen durch den Wald und kommen dann unten im Dörfli Sertig GR an. In den farbenfrohen Magerwiesen rund um sein Haus stellt er die wunderschönen Blumensträusse zusammen, die überall im Chalet stehen.

Ob er seinen Beruf gar nicht vermisse, fragen wir. «Ich bin froh, dass ich etwas gemacht habe, für das man mich respektierte und das mich erfüllt hat. Ich war nie unterfordert – ein grosses Geschenk.» Das Moderieren sei aber nur ein Teil des Ganzen gewesen. Wirklich befriedigt wurde sein Interesse am Wissen, und das Teilhaben am Leben anderer Menschen: «Ich gehe stets mit gelebter Toleranz und grossem Interesse auf andere zu. Man soll sich auf Augenhöhe begegnen, egal, wer das Gegenüber ist. So entstehen offene, respektvolle, aber auch kritische Gespräche, die intellektuell anspruchsvoll sind.» Er habe versucht, in seinen Sendungen stets der Kurt Aeschbacher zu sein, der er auch privat ist. «Ohne Vorurteile auf jemanden zuzugehen, ist eine gute Übung», rät er. «Ich finde es mindestens so spannend mit älteren wie mit jüngeren Leuten zu reden.» Traurig machen ihn die verkniffenen Gesichter älterer Menschen, die mit bösen Blicken in einer Art Selbstgespräch alles um sich herum negativ kommentieren. «Neue Bekanntschaften finden und neugierig bleiben, lernt man leider nach der Pensionierung nicht mehr. Kein Wunder, sind alleinstehende Personen so unzufrieden im Alter.»

Was glaubt er, werde dereinst mit seinem Körper passieren, wenn er stirbt? «Offenbar hat der Mensch den Anspruch, seiner Existenz eine übergeordnete Bedeutung zu geben. Das kann ich nicht verstehen. Wenn jemand stirbt, ist er für mich tot, aber die Erinnerung lebt weiter, vielleicht auch eine Art Energie. Mir gab es auf jeden Fall ein gutes Gefühl, die Asche meiner Mutter als Dünger unter meine Rosen in Südfrankreich zu ‹recheln›.»

Wenn er mit Leonardo über sein Ableben spricht, geht es ganz unsentimental darum, was mit seinen Dingen – vor allem der Kunstsammlung – geschieht oder wie er sterben will. «Das Schlimmste für mich wäre, wenn Leonardo mich pflegen müsste. Ich hoffe, ich kann ihm das ersparen.»

Aeschbacher ist angekommen, glücklich, demütig: «Meine grösste Dankbarkeit gilt der Zeit und dem Land, in dem ich auf die Welt kam. Ich konnte studieren, musste nie Angst haben, hatte eine sichere Umgebung. Wäre ich ein paar Jahrzehnte früher oder im Kongo geboren, sähe das anders aus.»