Mutet er sich nicht zu viel zu?

Wie macht er das bloss? Allein sein übervoller Spielplan würde manch einen überfordern. Aber nicht den Baselbieter, scheint es – er findet daneben sogar noch Zeit für seine Familie und seine Stiftung. Doch übertreibt er es jetzt?

Während die Welt auf seinen Rücktritt wartet, der in absehbarer Zeit angekündigt werden sollte, hat Roger Federer ganz andere Pläne: Trotz seines für einen Spitzensportler fortgeschrittenen Alters von 38 Jahren und dem Ausscheiden an diversen prestigeträchtigen Turnieren dieses Jahres, gibt der vierfache Vater momentan Gas, als gäbe es kein Morgen.

Am Sonntag ging in Genf der «Laver Cup» zu Ende. Das Herrenturnier organisiert Federers Management-Firma seit 2017. Ein Riesenevent, an dem sich die besten Spieler der Welt miteinander messen. Natürlich nahm der Maestro selbst teil und half erheblich mit, dass sein Team Europe das Turnier gewinnt. Speziell bei seinem letzten Einsatz am frühen Sonntagabend leistete er die wichtige Vorarbeit zum Happyend aus europäischer Sicht, das Alexander Zverev (22) in einem spannungsgeladenen Endmatch dann Wirklichkeit werden liess.

Von seinen Rückenschmerzen, die den Schweizer an den US Open Anfang September in den Viertelfinals ausscheiden liessen, war nichts mehr zu spüren oder zu sehen. Schon kurz nach dem Turnier in Flushing Meadows in New York sagte Federer: «Es war bei weitem nicht so schlimm, als dass ich hätte aufgeben müssen.» Eine Woche später meinte er: «Ich spüre den Rücken noch ein wenig. Aber eher im Alltag als im Training. Ich werde jeden Match spielen können, in dem es mich braucht, und ich kann wieder Vollgas geben.» Dennoch sei er überrascht gewesen, wie lange er den Rücken gespürt habe – über zehn Tage. Aber das sei wohl einfach das Alter.

Bleibt zu hoffen, dass weder Rücken- noch andere Schmerzen das Versprechen, überall dabei zu sein, wo es ihn brauche, nicht zunichtemachen. Denn der Fahrplan der Tennis-Legende für die nächsten Monate hat es in sich.

Vom 5. bis 13. Oktober nimmt Federer am Masters-1000-Turnier in Shanghai teil. Nur einen Tag später spielt er in Tokio einen Schaukampf gegen Kei Nishikori (29) für ihren Kleidersponsor Uniqlo. Vom 21. bis 27. Oktober folgt das Heimturnier an den Swiss Indoors in Basel und die ATP-Finals in London vom 10. bis 17. November. Vielleicht quetscht er auch noch Paris-Bercy dazwischen (28. Oktober bis 3. November).

Ende November weilen Federer und seine Familie in Südamerika. Dort spielt er mehrere Schaukämpfe. Als Austragungsorte sind unter anderem Mexiko-Stadt, Bogota und Santiago de Chile im Gespräch. Diese Südamerika-Tour hat Federer bereits 2012 gemacht. «Es war die absolute Lieblingstour meines Vaters», erzählt er. «Er fand es gigantisch und ich auch!»

Federers Bedingungen für diese Zusatzbelastung: Zwei Wochen Ferien mit Ehefrau Mirka (41) und den vier Kindern sowie ein Konditions-Block mit seinem Fitness-Coach müssen drinliegen. Beides ist bei dem Mammutprogramm ausgesprochen wichtig für das Tennis-Ass: Er braucht sowohl die Entspannung als auch die Vorbereitung auf die neue Saison. Gerade Letztere dürfte aber dennoch zu kurz kommen. Bereits das letzte Mal büsste Federer für seine Schaukampf-Tour in Südamerika mit einer (zu) kurzen Vorbereitungszeit auf die Saison 2013.

Dieses Mal wird sie nochmals eine Woche kürzer, da die neue Saison bereits am 3. Januar mit dem neu kreierten ATP Cup in Australien beginnt. Federer findet allerdings: «Da muss ich noch nicht auf hundert Prozent sein.» Die Australian Open seien wichtiger.

Nach den Australian Open fliegt der Federer-Trupp gleich weiter nach Kapstadt. Dort will Federer am 7. Februar mit seinem Freund und Rivalen Rafael Nadal (33) im «Match for Africa 6» einen neuen Zuschauer-Weltrekord im Tennis aufstellen. 50 000 Tickets waren nach zehn Minuten vergriffen. Der Erlös kommt Federers Stiftung zugute.

Seine Agenda sei durchgeplant bis Wimbledon (29. Juni bis 12. Juli), sagt Federer. Eine Teilnahme an den Olympischen Spielen 2020 in Tokio, die gleich nach London stattfinden, werde er demnächst bestätigen – oder seinen Verzicht bekanntgeben. «Ein ‹Nein› bedeutet Prioritäten setzen für meine Familie und meinen Körper. Ein ‹Ja› wäre ein Zeichen an die Schweiz und die Möglichkeit, einen Traum zu verwirklichen.» Den einer Goldmedaille im Herren-Einzel.

Dieses Jahr nahm Federer erstmals seit 2016 wieder an der Sandsaison teil. Sein Fazit war überraschend positiv. Doch ob er 2020 erneut auf der roten Asche antritt, lässt er wie die Olympia-Teilnahme noch offen. Ein Verzicht würde ihm eine Pause von rund zweieinhalb Monaten erlauben – zwischen dem Marathon-Programm, das im Februar mit dem «Match for Africa» endet und seinem Lieblingsturnier in Wimbledon Ende Juni.

Dass sich der leidenschaftliche Familienvater für mehr Zeit mit Mirka, den Zwillingsmädchen Myla und Charlene (10) und den Zwillingsbuben Leo und Lenny (5) entscheidet, ist wahrscheinlich und wäre nur allzu verständlich.