Kein letztes Treffen mit Vater Vico

Die Feiern zum 100. Geburtstag seines verstorbenen Papas verpasste der Hotelier. Und der Wahlamerikaner bereut, ihn zu dessen Lebzeiten nicht öfter besucht zu haben.

Unglaublich, was unser Vater in unserer extrem kleinen Küche in Agno im Tessin an Gerichten zaubern konnte», erinnert sich Reto Torriani, der Sohn des grossen Entertainers Vico Torriani († 77). In Sachen Tischregeln war das Familienoberhaupt sehr pedantisch: «Es durfte nur dieses Porzellan und jene Gläser aufgedeckt werden. Alle hatten pünktlich zum Essen da zu sein, und man ging erst vom Tisch, wenn alle gegessen hatten.»

In Erinnerungen schwelgt Reto Torriani vermehrt seit dem 100. Geburtstag seines Vaters letzten Herbst, an dem Familie, Fans und Presse Vico gedachten. Der 62-Jährige wollte für diesen Anlass zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder in die Schweiz kommen, sass jedoch in Thailand fest. Dort ist er immer noch: «Ich kam mit meiner Familie hierher, um mich wegen gesundheitlicher Probleme behandeln zu lassen.» Danach hätten Reto, seine philippinische Frau Meriam (32) und ihr gemeinsamer Sohn Valerio (2½) in die USA zurückgehen wollen, wo Reto seit 40 Jahren seinen Wohnsitz hat. Corona machte ihnen einen Strich durch die Rechnung.

Der Hotelier rechnet nicht vor kommendem Oktober mit einer Rückkehr in seine Wahlheimat Florida. Und vor der Heimkehr müssen sie einen Umweg über die Philippinen machen, wo Retos Stiefsohn (10), der es nicht rechtzeitig geschafft hat, nach Thailand auszureisen, auf seine Familie wartet. In der Zwischenzeit wird er von Verwandten liebevoll umsorgt.

Mit der Schweiz hat Reto schon früh abgeschlossen. Er wollte eigentlich – wie sein Vater – Mu­siker oder Küchenchef werden. Doch Vico war nicht begeistert. «Er legte mir ans Herz, Kaufmann zu werden, was ich dann auch tat.» Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war nicht immer einfach: «Wir hatten meist gegenteilige Ansichten. Ich glaube, meine Schwester Nicole war Papi näher, ich war eher ‹Mama’s boy›.» Zudem litt Reto darunter, oft nur «Vicos Sohn» zu sein. «Das hatte natürlich auch seine Vorteile: Wir erlebten tolle Ferien zusammen. Und mit ihm auf der Bühne zu stehen und hinter die Kulissen zu sehen, war spannend.»

Gleich nach der Ausbildung ging Reto in die USA. «Bei meiner ersten Anstellung in einem New Yorker Hotel erhielt ich 129 Franken pro Woche. Ich hatte Löcher in den Schuhen und ernährte mich von Pizza.» Doch er arbeitete sich hoch. «Eine richtige ‹Vom Tellerwäscher zum Chef›-Karriere.» Als Geschäftsführer von kleinen und grossen Luxushotels war er in der ganzen Welt tätig – Europa, Asien, Karibik, Indien. Aber auch in seinem geliebten Kalifornien. «Wenn es nicht so teuer wäre, würde ich mich da niederlassen. Nun ziehen wir nach Florida – die zweitbeste Wahl.»

Durch einen schweren Unfall verlor Reto 2016 fast alles. Er musste bei seinem Sohn aus früherer Ehe Unterschlupf finden, bis er die Schadenersatzzahlung erhielt. «Ich war lange im Spital und sehr allein. Das gab mir die Möglichkeit, nachzudenken. Ich bin dankbar, dass ich noch hier bin. Mein Leben war verrückt und hart, aber toll – richtiges Filmmaterial.» Er ist denn auch seit längerem daran, seine Memoiren zu schreiben.

Das Einzige, was er bereut, ist, nicht mehr Zeit mit seinem Vater verbracht zu haben: «Als ich klein war, war er immer unterwegs. Und später war ich ständig im Ausland.» Nicht einmal ein letztes Wiedersehen war den beiden vergönnt, das Schicksal liess das Treffen im letzten Moment platzen: «Ich wusste, dass er krank war. Das nagte sehr an mir.» Reto arbeitete damals auf Bora Bora und konnte nicht weg. Dann sah er endlich eine Möglichkeit, zwischen zwei geschäftlichen Terminen in Europa ein paar Tage bei seinen Eltern zu verbringen. «Ich rief Papi an. Er klagte: ‹Du hast nie Zeit, bist immer am ume­reise. Komm mal chli her.› Das war unser letztes Gespräch, einen Tag vor seinem Tod!» Tröstlich sei, dass er seinen Vater jederzeit anschauen und hören kann: in Aufzeichnungen von dessen TV-Auftritten, in Vicos Kochbüchern oder auf seinen Schallplatten.