«Es gab viele magische Momente»

Eine spezielle «Tour de Suisse»: Der TV-Moderator begleitete sechs Menschen mit Down-Syndrom durch die Schweiz. Berührungsängste hatte er dank seines behinderten Sohnes keine.

Nik Hartmann streckt die Unterarme aus: Alle Härchen stehen ihm zu Berge – Gänsehaut bei 36 Grad. Doch das liegt nicht am Eiscafé vor ihm, sondern daran, was er eben über seine neue Sendung erzählt hat. «Es war das intensivste, unglaublichste Erlebnis, das ich in all den Jahren hatte», erzählt der 47-Jährige.

Aber alles der Reihe nach: Ein Roadtrip sei’s, den er in einer etwas anderen Reisegruppe als sonst unternahm. «Reise mitohne Hindernis» führt sechs junge Frauen und Männer und ihn im Bus durchs Land. «Das Wesentliche dabei ist: Sie bestimmen Tempo und Geschichten, ihre Wünsche sind wichtig, nicht unsere.» Auch nicht unwesentlich: Alle haben das Down-Syndrom. Ja, meint er dazu, er habe Skrupel gehabt im Vorfeld. «Wie weit darf man gehen, damit man das nicht instrumentalisiert? Ich sagte von Anfang an: Das gibt keinen Zirkus, es geht nicht um den Effekt, sondern um Erlebnisse.»

Und wieso Trisomie 21 und keine andere Behinderung? Hartmann sucht nach Worten. «Am liebsten würde man ja sagen, es ist nur eine einfache Einschränkung und darum auch einfacher für uns Anfänger.» Fernsehen habe viel mit Kommunikation zu tun, und Menschen mit Down-Syndrom seien sehr nach aussen gerichtet. «Die meisten Zuschauer haben wohl keine Berührungspunkte mit Leuten wie ihnen. Aber es gibt sie, Gott sei Dank, gibt es sie.» Es sei darum gegangen, sie den Zuschauern näherzubringen, zu zeigen, wie normal es ist, eine Beeinträchtigung zu haben. «Denn sie alle können etwas, und darum ging es – und nicht darum, was ihre Einschränkungen sind», erklärt er.

Hindernisse haben sie gemeinsam aus dem Weg geräumt. «Wir liessen uns nicht in unseren Ideen behindern, wollten zeigen, dass Menschen wie sie ein selbständiges Leben führen können.» Aber in ihrem Tempo. «Da mussten wir uns anfänglich anpassen.» Er lächelt.

Die zwölf Tage war Nik Hartmann nicht alleine unterwegs, mit ihm reisten Roli – «ein wahnsinnig guter Mensch» – und Julia. «Julia kenne ich, weil sie meinen Sohn Melchior betreute in der Institution, wo er zur Schule geht.» Sie drei hätten alles gemacht: «Von hygienischen Notfallmassnahmen übers Trösten bis zum Liebeskummer. Ganz Hollywood in drei Folgen.»

Genau, Melchior (10): Hat Nik sich die Reise auch darum zugetraut, weil sein Jüngster Zerebralparese hat? Er nickt. «Ich habe weniger Berührungsängste und gelernt, keine grossen Pläne zu machen, sondern einander in kleinen Schritten zu unterstützen.» Das präge, mache ihn zufrieden und glücklich. «Die Bereicherung, die wir mit ihm in jeder Hinsicht haben, möchten wir nicht missen.» Aber ein behindertes Kind bedeute ein Leben lang Verantwortung und Mehraufwand, den er und seine Frau Carla (47) mit professioneller Hilfe und einem unterstützenden Umfeld bewältigen. «Wir liefen jahrelang auf den Felgen. Ich hatte vier Stunden geschlafen, lächelte in die Kamera und wusste, dass nicht Feierabend ist, wenn ich heimkomme.»

Tricks, die er vom Sohn kenne, wandte er auch auf der Reise an: So arbeitete er oft mit Musik. Lachend erzählt er, wie er Mike, der fixe Vorstellungen habe, wie etwas sein müsste, mit dem Lied «L.I.E.B.I.» von Kunz dazu brachte, sich zwischen zwei Spaghettisaucen zu entscheiden. Als sie alle einmal im Bus einen Büne-Huber-Song schmetterten, rief er den Musiker an, liess ihn mithören. Nik zeigt das Video: «Jetzt hani grad Träne i de Auge.»

Magische Momente wie diesen habe es viele gegeben. Er erzählt, wie sie in der Abendsonne durch die Freiberge fuhren und eine Herde freilaufender Pferde erblickten. «Lorena hatte noch nie eins angefasst und sich das gewünscht. Und dann ging sie auf das Tier zu. Alles so kleine Freuden. Obwohl», grinst er, «Lauras 911er war dann doch etwas grösser …» Laura spare für einen Porsche und ihr Wunsch sei, mal einen zu fahren. Was sie auf einer abgesperrten Strecke mit Fahrlehrer dann auch tat. «Einen Satz Pneus später stieg sie aus und rief: ‹Ich cha Autofahre!› So geil, so Momente!» Er strahlt und liest ein SMS von Lauras Mutter vor. Eine total glückliche Laura habe angerufen, ihr Traum sei in Erfüllung gegangen, sie sitze in einem orangen Porsche und wolle wissen, wie ihr Kontostand sei. So glücklich und begeistert habe sie Laura selten erlebt.

Hartmann hat viel erlebt, aber was nahm er mit? «Man merkt, wie privilegiert man ist, weil man nicht auf andere angewiesen ist, einem keiner sagt, was zu tun ist. Sie müssen sich uns immer anpassen. Obwohl sie ein Chromosom mehr haben», meint er lächelnd. Die Reise sei oft auch stressig gewesen. «Wir haben die sechs ganz normal behandelt und drum schon ein bisschen gefordert. Sie uns aber ebenfalls.» Beim Abschied flossen bei allen Tränen. «Das war viel mehr als eine TV-Sendung, wir waren eine Familie. Und wenn es eine Sendung gibt, die wirklich Sinn macht, dann diese.»