Ein Lied, das aus tiefstem Herzen kommt

Vor zwei Jahren hat der Sänger von Heimweh seinen geliebten Vater verloren – an Covid. Die Gefühle füreinander und die gemeinsame Liebe zur Musik verarbeitet er im Song «Vati».

Vati chasch gah, mini Hand itz los lah (…) Vati, lah los, Di Bueb isch etz gross.» Bei diesen Zeilen bleibt kein Auge trocken. Es ist die Geschichte von Heimweh-Sänger Ralph Güntlisberger und seinem Vater. Als wir den Berner treffen, ist er kaum wiederzuerkennen: Er trägt seine langen Haare – sein Markenzeichen – kurz. Setzt er zudem die Brille auf, sieht der 59-Jährige aus wie ein Mann, der ein ganz normales Leben führt. Er winkt ab: «Ihr glaubt gar nicht, was das für Reaktionen hervorrief, als ich meine Haare abgeschnitten habe.» Viele Fans waren gar nicht erfreut darüber. Er lässt die Mähne jetzt wieder wachsen. Etwas im Brad- Pitt-Stil schwebt ihm vor.

Wir treffen Ralph Güntlisperger in Bern, um über seinen Vati Heinz «Harry» Güntlisberger zu sprechen. Er, der sonst um kein Wort verlegen ist, meidet das Thema anfangs, redet über dies und das. Er weiss: Gleich wird es emotional werden. Dennoch scheint der dreifache Vater und sechsfache Grossvater – das Jüngste erblickte erst vor kurzem das Licht der Welt – erstaunlich ruhig und gefasst. Nuja, die vierjährige Strassenhündin seiner Tochter, streift ihm um die Beine. Nun beginnt er stockend: Am 13. Dezember 2020 sei es passiert, also vor bald zwei Jahren. Der Vater, mit seinen 85 auch sonst nicht mehr fit, war am Coronavirus erkrankt. «Ich sang ihm in vollem Covid-Schutzanzug im Spitalzimmer ‹What A Wonderful World› vor. Man durfte ja nicht mehr nahe aneinander heran. Also hielt ich seine Hand, und er lächelte mich an.»

Güntlisbergers Augen füllen sich mit Tränen. «Ich will nicht immer heulen», versucht er verlegen lächelnd einen Spruch. Die Tränen werden noch ein paarmal kullern, während wir über seinen Vater reden. Auch dieser habe nahe am Wasser gebaut gehabt, sagt er. «Wir haben immer Händchen gehalten, uns gedrückt, uns ‹Müntschis› gegeben und gesagt, dass wir uns lieben. Er war die Liebe in Person und für mich die Bezugsperson in meinem Leben.»

Dass er seinem Vati zum Abschied Louis Armstrongs grossen Hit vorgesungen hat, ist kein Zufall: Dieser war nicht nur Architekt, er war selbst Musiker, spielte Klarinette und hatte eine wunderbare, volle und tiefe Stimme. Mit seiner Band, den «Harry’s Satchmo All Stars», trat Harry Güntlisberger rund um den Erdball auf. «Er spielte Dixieland und Jazz aus purer Leidenschaft, dazu sang er wie sein Vorbild Louis Armstrong. Man nannte ihn ‹The white Satchmo› der Schweiz.» 

Der Sohn ist stolz: Fotos seines Vaters hängen an der Wand, auf einer Kommode steht eine Figurensammlung von Satchmo – wie der grosse amerikanische Sänger auch genannt wurde – und seiner Band. Harry Güntlisberger trat ebenfalls in New Orleans auf und ist Ehrenbürger von Armstrongs Heimatstadt. Er war zudem ein begnadeter Maler. Im Treppenhaus hängen mit feinsten Strichen gemalte Abbilder aller Brunnen in Bern. Auf der anderen Seite dann wieder eine Symphonie in grünen Öl-Tönen gespachtelt, eine Stadt an einem mit Bäumen bewachsenen Fluss lässt sich erahnen – Bern an der Aare natürlich. Die Musikerporträts in Berns ältestem Jazzclub, der «Mahogany Hall» stammen ebenfalls von Harry Güntlisberger.

Dass sein Sohn auch Musiker wurde, hat Harry Güntlisberger sehr gefreut. «Vati war meine grosse Liebe. Er war der, mit dem ich über Musik philosophieren konnte. Natürlich hauptsächlich über alten Jazz und Rock.» Die beiden standen ab 2015 oft zusammen auf der Bühne. «Es gab jedes Mal Tränen, da niemand wusste, wann es das letzte Mal sein würde.»

An ein Heimweh-Konzert hat es der Armstrong der Schweiz nicht mehr geschafft. «Er war alt, hat schon lange gesagt: ‹Eigentlich habe ich es gesehen.› Er war ein Genussmensch und hat wirklich viel erlebt und gesehen.» Seine Asche hat Ralph Güntlisberger rund um den Teich im Garten seines Vaters verstreut. «Ich glaube, er wollte das so.» An einer Jazz-Matinée plant er mit bekannten Jazz-Musikern ein Gedenkkonzert für den grossen Heinz «Satchmo» Güntlisberger.