Wenn der eigene Körper zum Feind wird

Durch eine Fehlfunktion des Immunsystems kann es vorkommen, dass unsere «Abwehrtruppen» nicht nur kranke, sondern auch gesunde Zellen angreifen und eine Autoimmunerkrankung auslösen.

 

Der Mensch verfügt über ein effizientes System, um Krankheitserreger abzuwehren – das sogenannte Immunsystem. Es schützt uns vor krankmachenden Bakterien, Viren, Pilzen und Parasiten. Bei einigen Menschen kann sich aber ein folgeschwerer Fehler in dieses Abwehrprogramm einschleichen: Das Verteidigungssystem des Organismus ist nicht mehr fähig, zwischen Fremdkörper und körpereigener Substanz zu unterscheiden. Die Antikörper der «Körperpolizei» greifen dann nicht nur unerwünschte Eindringlinge, sondern auch gesundes Gewebe und Organe an. Dadurch wird ein Entzündungsprozess in Gang gesetzt, der die betroffenen Organe unaufhaltsam schädigt.

 

Zahlreiche Krankheitsformen
Autoimmunerkrankungen entstehen meist im früheren Erwachsenenalter und treffen etwa fünf Prozent der Bevölkerung. Bisher sind rund 60 verschiedene Autoimmunerkrankungen bekannt. Weitere Leiden, wie Schizophrenie und Autismus, stehen im Verdacht, ebenfalls dazu zu zählen.

 

Fest steht: Eine Autoimmunerkrankung kann jedes Organ und jedes Gewebe betreffen. Werden zum Beispiel bestimmte Nervenzellen angegriffen, kann Multiple Sklerose entstehen. Weitere Krankheiten, die durch die Fehlsteuerung des Immunsystems ausgelöst werden, sind etwa

  • Autoimmunhepatitis (Leber)
  • Colitis ulcerosa und Morbus Crohn (Darm)
  • Diabetes mellitus Typ 1 (Bauchspeicheldrüse)
  • Hashimoto-Thyreoiditis (Schilddrüse)
  • Morbus Bechterew (Wirbelsäule)
  • Rheumatoide Arthritis (Bindegewebe an Gelenken und Sehnen)
  • Neurodermitis/Schuppenflechte (Haut).

 

Zu wenig T-Zellen
Trotz intensiver Forschung sind die Ursachen für das selbstschädigende Verhalten des Immunsystems bisher weitgehend ungeklärt. Zum heutigen Zeitpunkt gehen Experten davon aus, dass es sich um eine Kombination von genetischer Veranlagung und ungünstigen Umwelteinflüssen handelt. Verdächtigt werden virale Infektionen, Medikamente, Stress, Hormone und Schwangerschaften.

Sicher ist: Eine Schlüsselrolle spielen die sogenannten T-Zellen, die im Knochenmark entstehen. Sie zählen zu den weissen Blutkörperchen und dämpfen Fehl¬reaktionen des Immunsystems. Da im Körper von Patienten mit Autoimmunerkrankungen zu wenig T-Zellen vorhanden sind, reagiert das Immunsystem überschiessend.

 

Immunsystem wird gebremst
Autoimmunerkrankungen sind bisher nicht heilbar, da es keine Therapie gibt, um das fehlgeleitete Abwehrsystem wieder auf die gesunde Bahn zu bringen.

Je nach dem, welches Organ betroffen ist, wird der Patient von einem entsprechenden Facharzt (Internist, Dermatologe, Neurologe oder Endokrinologe) behandelt. Ziel ist, die zerstörerische Kraft der Krankheit zu bremsen und die Symptome zu lindern. In erster Linie geht es darum, die Aktivität des Immunsystems zu dämpfen. Dazu gibt es unterschiedliche Medikamente. Als stärkste «Waffe» gilt nach wie vor Kortison, weil es das Immunsystem lähmt und die weitere Zerstörung von körpereigenem Gewebe stoppt.

Diese Therapie ist allerdings nicht problemlos: Durch die medikamentöse Unterdrückung des Immunsystems ist der Körper allfälligen Infektionen durch Viren oder Bakterien schutzloser ausgesetzt.
Die Forschung arbeitet darum an einer neuen Therapieform, die sich teilweise noch in Entwicklung befindet: Mit sogenannten monoklonalen Antikörpern soll gezielter ins Abwehrsystem eingegriffen werden können, um beispielsweise nur noch einzelne Signalstoffe im Entzündungsgeschehen zu blockieren.