Genuss – oder Sucht?

Sollte man ein Gläschen in Ehren vielleicht doch lieber verwehren? Neuste Studien zeigen: Alkohol schadet der Gesundheit mehr, als man bisher angenommen hat.

 

Viele Menschen sind überzeugt: Frauen und Männer, die zu viel Bier, Wein und Schnaps trinken und damit ihre Gesundheit gefährden, sind rar.

Irrtum! «Alkohol wird immer mehr zu einem Problem. Da er billig und leicht erhältlich ist, wird mehr getrunken», so Manuela Bergmann vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. Die Wissenschafterin hat an einer Studie mitgearbeitet, die vor Kurzem publiziert wurde und Alarmierendes an den Tag brachte: 10 Prozent der Krebserkrankungen bei Männern und 3 Prozent bei den Frauen in Westeuropa entstehen durch übermässigen Alkoholgenuss. In der Schweiz sind das rund 800 Neuerkrankungen pro Jahr.

Zahlreiche alkoholbedingte Krebserkrankungen könnten vermieden werden, wenn Männer höchstens 5 dl Bier oder 2 dl Wein und Frauen höchstens 2,5 dl Bier oder 1 dl Wein pro Tag trinken würden. Noch mehr Krebserkrankungen könnten verhindert werden, wenn gar kein Alkohol konsumiert würde – so das Fazit der Studienleiter. Denn auch wenn man unter dem empfohlenen Mass Alkohol geniesst, kann Krebs nicht ausgeschlossen werden.

Herzschutz wird hinterfragt
Dass es nicht gesund ist, zu tief ins Glas zu schauen, ist altbekannt. Bisher galt aber ein Gläschen Rotwein pro Tag als guter Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dieser Schutzeffekt wird von Forschern neuerdings hinterfragt. Es wird angenommen, dass moderate Trinker nicht wegen des Weins ein fitteres Herz haben, sondern weil sie generell gesünder leben – indem sie sich beispielsweise regelmässig bewegen, nicht rauchen, auf ihre Ernährung achten und Stress aktiv abbauen.

Eine andere, englische Studie zeigt: Führungskräfte, die im Beruf unter grossem Druck stehen, neigen dazu, häufiger Alkohol zu trinken. Bei erfolgreichen Männern trinkt etwa jeder Vierte, bei den Frauen jede Fünfte zur Entspannung. Die Gefahr dabei: Aus dem einen Glas Wein wird schnell mal eine halbe Flasche. Und damit steigen die Gesundheitsrisiken wieder klar an – von Schlaganfall über Entzündungen der Bauchspeicheldrüse bis zu Leberzirrhose und Krebs.

Sucht statt Genuss
15 von 20 Menschen in der Schweiz trinken gerne Alkohol: Ein erfrischendes Bier mit Freunden, ein prickelndes Champagner-Cüpli zum Anstossen, ein edler Tropfen zum Essen oder ein Pflümli zum Kaffee bereiten Genuss, auf den niemand verzichten muss. Sofern es nicht zur Alltagsgewohnheit wird und man mit der Zeit nicht immer mehr nachschenkt. Denn aus Genuss kann Sucht werden: Rund 350’000 Menschen hierzulande haben ein ernsthaftes Alkoholproblem. Das ist jeder Zwanzigste!

Wer gerne Hochprozentiges trinkt, ist gut beraten, sich ehrlich zu fragen: Trinke ich wirklich nur in besonderen und ausgewählten Momenten? Oder gehören Bier oder Wein bereits zu meinen täglichen Ritualen, auf die ich ungern verzichte? Reicht auch eine kleinere Weinflasche (im Handel werden vermehrt Flaschen zu 5, 3,75 oder 2 Dezi angeboten), die ich mit meinem Partner teile?

Nationale Kampagne
Vom 21. bis 29. Mai führt das Bundesamt für Gesundheit eine nationale Dialogwoche zum Thema «Alkohol» durch. Jeder ist eingeladen, offen über das Thema zu sprechen. Nutzen Sie die Chance, in der Familie und mit engsten Freunden darüber zu reden – als Angehöriger oder Betroffener. Und schämen Sie sich nicht, Hilfe zu holen, wenn Sie sie brauchen. Es gibt in der Schweiz zahlreiche Anlaufstellen. Bei schweren Alkoholproblemen bieten auch spezialisierte Kliniken Hilfe, wie die Forel-Klinik in Ellikon a/Thur ZH, das führende Kompetenz-Zentrum für Suchterkrankungen (www.forel-klinik.ch).
Weitere Infos zu den Kampagnen-Veranstaltungen sowie Broschüren und Merkblätter zum Herunterladen: www.ich-spreche-über-alkohol.ch