«Meistens eine Erlösung»

Es ist eine schwierige Entscheidung, ein Haustier einzuschläfern, sagt Josef Streuli*. Der Tierarzt über prägende Erlebnisse und die gelegent­liche Not­wendigkeit dieses letzten Schritts.

«Schon als Kind hatte ich eine grosse Liebe für Tiere und bin mit einem Hund und mehreren Katzen aufgewachsen. Seit vielen Jahren führe ich gemeinsam mit meiner Frau eine Tierarztpraxis. Ich behandle Katzen, Hunde und Hasen, muss Tiere impfen und Sterilisationen vornehmen. Chirurgische Eingriffe kommen hinzu, auch Röntgen, Ultraschall und Laboruntersuchungen.

Ich hatte vor Jahren ein prägendes Erlebnis, als ich auf der Autobahn einen Hund sah, der sterbend auf der Strasse lag. Wahrscheinlich wurde er angefahren, und niemand konnte ihm helfen. Ich fühlte mich elend und ohnmächtig zugleich.

Das Wohl der Tiere steht für mich im Vordergrund. Als Tierarzt brauche ich sehr viel Einfühlungsvermögen, Sensibilität und eine gute Beobachtungsgabe. Ich muss verstehen, wie sich das Tier fühlt, und kann anhand seiner Körpersprache ahnen, ob es Schmerzen oder Angst hat. Eine gute Kommunikation mit dem Besitzer des Tiers spielt auch eine grosse Rolle.

Leider kommt es vor, dass ich Tiere einschläfern muss. Meistens sind es ältere Tiere. Sie leiden unter Appetitlosigkeit, verweigern das Fressen, trinken nichts mehr. Sie reagieren kaum auf ihre Umwelt und kommunizieren nicht mit ihrem Besitzer. Es kann eine schwere Krankheit vorliegen, zum Beispiel Herzprobleme, Nierenschäden oder Krebs. Oder es sind verletzte Tiere, denen man nicht helfen kann. Es ist für mich wie für den Besitzer immer eine schwierige Entscheidung, diesen letzten Schritt zu machen und das Tier einzuschläfern. Vor Jahren kam eine Frau zu mir, sie hatte vor, bei Exit zu sterben und wollte, dass ihr Hund vorgängig eingeschläfert wird. Ich hatte ihr versprochen, ihr in jeder Situation
zu helfen, und so habe ich mich bereit erklärt, ihren Hund einzuschläfern. Heute bereue ich es. Ich würde das nie mehr machen.

Wird ein Tier in der Praxis eingeschläfert, erhält es zunächst Morphium, danach lege ich einen Venenkatheter und spritze hochdosiert ein Barbiturat, das wirkt wie eine überdosierte Narkose. Meistens liegt das Tier auf dem Schoss des Besitzers. Alles geht sehr schnell. Danach dunkle ich das Zimmer ab, zünde eine Kerze an und verlasse den Raum. So kann der Besitzer in aller Ruhe vom Tier Abschied nehmen. Einige sprechen mit ihrem toten Tier oder beten. Sehr beeindruckt hat mich eine Katze, die mich vor dem Eingriff mit ihren Augen fest fixiert hat, wahrscheinlich wollte sie mir mitteilen, ich soll sie doch erlösen.

Ich habe sehr unterschiedliche Reaktionen von Besitzern erlebt. Einmal hat ein Besitzer massiv getobt und sich nur medikamentös besänftigen lassen. Ein anderes Mal reagierte ein Betroffener mit massiven Schreikrämpfen. Ihn konnte ich schliesslich mit tröstenden Worte beruhigen.

Natürlich tut es mir leid, ein Tier einzuschläfern. Doch ich habe gelernt, Distanz zu wahren, schon aus purem Selbstschutz. Und für das Tier ist es meistens eine Erlösung.

* Name geändert