Kühe: Sensibel und immer sehr beschäftigt

Es sind sehr gemächliche Tiere, die sich selten aus der Ruhe bringen lassen: Kühe wirken manchmal fast etwas teilnahmslos. Sie sind aber empfindsamer, als man denkt, und haben immer viel zu tun.
 
Sie gehören zur Schweiz wie die Berge: Während beinahe jeder Wanderung sieht man auf irgendeiner Wiese Kühe stehen. Sie machen eine Landszenerie erst richtig schön, wirken ungemein friedlich – aber irgendwie auch etwas dümmlich, wie sie da scheinbar teilnahmslos vor sich hin grasen und nicht zu bemerken scheinen, was um sie herum passiert. Doch das täuscht. «Kühe werden sehr stark unterschätzt», sagt Landwirt Martin Ott. Er ist Mitbetreiber einer der grössten Schweizer Biobetriebe und hat ein Buch über die Tiere geschrieben. Deren Sehsinn ist zwar nicht sehr ausgeprägt, sie nehmen nur Schatten wahr. Aber Kühe hören und riechen uns schon von Weitem. Nur: Wir interessieren sie einfach nicht wirklich, sie sind sich Menschen gewöhnt und lassen sich durch sie nicht aufscheuchen. «Es gibt zwei Arten der Wahrnehmung»,erklärt Martin Ott. «Diejenige gegen aussen und diejenige gegen innen. Anders als etwa bei Pferden, die jede kleinste Bewegung registrieren, konzentriert sich eine Kuh viel mehr auf sich selbst.»
 
Allein die komplexe Verdauung fordert viel Aufmerksamkeit: Rund 16 Stunden pro Tag ist eine Kuh mit Fressen und Wiederkäuen beschäftigt. Im ersten Magen des Tieres, dem Pansen, findet eine intensive Gärung statt. «Diese ist so stark, dass sie dauernd vom Organismus der Kuh gesteuert und beruhigt werden muss, sonst könnte der Pansen platzen. Eine Kuh ist praktisch ständig dem Risiko ausgesetzt, innerlich zu explodieren.» Verständlich, dass die Tiere da keine Zeit haben, sich allzu intensiv mit ihrer Umwelt zu beschäftigen. Eine feine Art der Kommunikation haben sie dennoch. So können sie sich über ihre Körperhaltung und vor allem dank der Hörner auch über grosse Distanzen mit ihren Artgenossen verständigen. Klassisches Beispiel: Nach unten zeigende Hörner signalisieren Angriffbereitschaft. Enthornte Kühe haben es da schwerer. Martin Ott: «Sie müssen sich häufiger körperlich berühren. Kühe mit Hörnern lösen ihre Konflikte visuell, bevor es schmerzt.»
 
Die Tiere sind wider Erwarten sehr sensibel, und wenn sie sich nicht wohlfühlen, ist das für Profis wie Martin Ott offensichtlich, unter anderem daran,wie viel und wie gute Milch sie geben. Ein wichtiger Punkt für das Wohlbefinden sei das Verhältnis zum Bauern –denn an ihm hängen sie sehr. «Der Melker ersetzt das Kalb, deshalb ist die Kuh fast etwas verliebt in ihn und lebt zweimal täglich an ihm ihre Mutterliebe aus.» Zum Glücklichsein müssen Kühe zudem auch viel Raum haben, sodass sie nicht ständig einen Artgenossen in der Nähe haben, den sie im Auge behalten müssen. Je häufiger sie mit der Herde draussen sind, desto besser. Martin Ott: «Wie wir wollen sie die Sonne spüren, den Wind und die kühle Luft.»