Fürsorglich – und wachsam

Ob auf dem Land oder mitten in der Stadt: Amseln sind fast überall zu finden. Derzeit ziehen die Vögel ihre Jungtiere gross. Und müssen dabei Entführungen fürchten.

Das grosse Schlüpfen ist in vollem Gange! In der ganzen Vogelwelt bevölkern Jungtiere die Nester und halten ihre Eltern auf Trab – und einige stattdessen die Schweizerische Vogelwarte Sempach: «Letztes Jahr haben wir rund 500 grossgezogen», sagt Tierpflegerin Vreni Mattmann. Welche am häufigsten? «Amseln in rauen Mengen!»

Dass ausgerechnet diese Art einen Grossteil der kleinen «Patienten» ausmacht, hat einen einfachen Grund: Es gibt viele. «Amseln brüten zwei bis drei Mal pro Jahr, haben in der Regel drei bis fünf Eier», erklärt Mattmann. «Zudem sind sie überall zu finden, in der Stadt wie auch auf dem Land.» Die Jungen schlüpfen nach nur 14 Tagen, bereits zwölf Tage später beginnen sie, das Nest für erste Ausflüge zu verlassen. Bis sie im Alter von zwei bis drei Wochen flugfähig sind, erkunden sie die Welt hüpfend. Und werden dabei oft von Menschen «entführt»!

Viele Amseln und eine Vielzahl weiterer Vogelarten werden in Pflegestationen gebracht, obwohl es gar nicht nötig wäre – weil sie scheinbar unbeholfen herumspringen und keine Eltern in Sichtweite sind. «Das ist jedoch völlig normal», sagt Vreni Mattmann. «Die Eltern sind sehr fürsorglich, füttern die Kleinen auch ausserhalb des Nestes, und bei Gefahr stossen sie Warnrufe aus, auf die ihre Jungtiere instinktiv hören. Das ist angeboren und muss sein: Schon einmal ‹ungehorsam› sein, kann einmal zu viel sein.» Auch, dass die Vogelgeschwister nicht zusammen auf Entdeckungstour gehen, macht Sinn: Die Gefahr, dass gleich der ganze Nachwuchs auf einen Schlag durch einen Feind, etwa eine Katze, getötet werden würde, ist zu gross.

Natürlich gibt es dennoch solche, die Hilfe benötigen. «Ist ein Jungvogel in akuter Gefahr, etwa an einer Strasse, kann man ihn von Hand ins nächste Gebüsch setzen. Ist er verletzt oder tatsächlich verwaist, sollte er in die nächstgelegene Pflegestation.» Die Vogelwarte vermittelt gern Adressen (Telefon: 041 462 97 00). Die Aufzucht ist aufwendig: Sie müssen richtig gefüttert werden und natürliches Verhalten lernen, damit sie wieder ausgewildert werden können. «Die Chance, dass das klappt, ist zwar gross», sagt Vreni Mattmann, «aber es bleibt Fakt, dass die Aufzucht durch die Eltern immer erste Wahl ist: Sie können die Kleinen am besten aufs Leben vorbereiten.»