Ein recht verzwicktes Leben

Imposant und stark sehen sie aus, wenn sie sich wendig an steilen Bergwänden bewegen. Doch Steinböcke sind nicht unverwüstlich. Schwere Winter sorgen für grosse Verluste – und das ist nicht das einzige Problem, das den Tieren zu schaffen macht.

Im Winter in den Bergen herumzukraxeln, ist für Steinböcke  sicher kein Problem – würde man meinen. Falsch gedacht! Denn so gut sie in ihrem gebirgigen Lebensraum zurechtkommen, auf Schnee würden sie wohl
gerne verzichten. «Mit seinem schweren Körper und den kurzen Beinen ist der Steinbock schlecht an grosse Schneemassen angepasst», erklärt Hans Lozza vom Schweizerischen Nationalpark. «Deshalb bieten die inneralpinen, tendenziell schneeärmeren Regionen wie das Engadin bessere Lebensbedingungen als etwa der Alpennordhang.»

In schneereichen Wintern müsse man mit grossen Verlusten in der Population rechnen – der Bestand könne um ein Drittel einbrechen. Nicht nur die knappe Nahrung ist dann ein Problem, sondern beispielsweise auch Lawinen, die ganze Rudel töten können. Ausgerechnet dort, wo die Steinböcke Nahrung finden, ist das Risiko besonders hoch – an steilen Hängen, an denen der Schnee rutscht und Gras freigelegt wird. Wie sieht es dieses Jahr aus? Hans Lozza: «Die Schneemenge ist zwar unterdurchschnittlich, aber auch die anhaltende Kälte birgt Gefahren. Zum einen verbrauchen sie mehr Energie, zum anderen bildet blankes Eis ohne oder mit wenig Schneebedeckung ein Absturzrisiko.» Immerhin: Selbst bei hohen Verlusten erholen sich die Bestände innerhalb einiger Jahre.

Alles gut also? Nicht ganz. Anfang des 19. Jahrhunderts gab es nur noch knapp 200 Steinböcke im Gran-Paradiso-Gebiet in Italien. Sie bildeten den «Grundstock» für erfolgreiche Wiederansiedlungen. Doch Untersuchungen der Universität Zürich zeigen, dass durch diese Aussetzungsgeschichte die genetische Vielfalt gering ist. Dies macht die Wildtiere nicht nur anfälliger für Krankheiten, es könnte auf lange Sicht auch zu Problemen in der Anpassungsfähigkeit an veränderte Umweltbedingungen führen.

Und viel Schnee ist in dieser Sache übrigens auch nicht förderlich. Hans Lozza: «In schneereichen Wintern machen die Böcke kleinere Wanderungen und treffen dann weniger auf weiter entfernt lebende, paarungsbereite Weibchen. Dadurch wird die genetische Vielfalt ebenfalls eingeschränkt.»

Wenn wir also das nächste Mal wegen Schnee und Kälte jammern, einfach an die Steinböcke denken – die haben es wahrlich schwerer.

Buchtipp

2017-05-illu

Ein Spass für Klein und Gross mit wunderbaren Illustrationen von Amélie Jackowski: In «Gian und Giachen – und der furchtlose Schneehase Vincenz» (NordSüd Verlag) werden die beiden sympathischen, aus der TV-Werbung bekannten Bündner Steinböcke von einem Häsli verschreckt. Das wollen sie ihm mit gleicher Münze heimzahlen. Gar nicht so leicht!